Nacht ueber den Highlands
nie in ihrem Leben so zornig gewesen. In diesem Moment verstand sie plötzlich, wie man zum Schwert greifen und einen anderen Menschen töten konnte. Sie hasste Stryder so sehr, dass sie ihn am liebsten umgebracht hätte.
Und noch mehr hasste sie ihn dafür, dass sie so empfand.
Sein Blick richtete sich auf Kit. »Wenn du mich brauchst, Bruder, dann rufe mich.« Dann hefteten sich seine eiskalten Augen wieder auf Rowena. »Und was Euch betrifft, Mylady, ich mochte Euch weit lieber, als ich noch nicht wusste, wer Ihr seid.«
Bevor sie Gelegenheit fand, auch nur ein Wort zu erwidern, wandte er sich ab und stakste davon.
Die Menge begann tatsächlich zu applaudieren.
»Hört, hört«, rief einer. »Zeigt es ihr, Mylord. Wird Zeit, dass sie mal einer von ihrem hohen Ross holt.«
Rowena war entsetzt über die Hochrufe, die nun auf Stryder ausbrachen.
Wie konnten sie es wagen!
Doch was sie mehr als alles andere verletzte, war die Tatsache, dass so viele Menschen sie und ihre Ansichten verachteten.
Sollten sie ihr doch alle den Buckel runterrutschen. Hatten sie keine Augen im Kopf? Konnten sie nicht sehen, wie falsch, wie schrecklich Gewalt und Krieg waren?
Ihr wollten die Tränen kommen, doch sie blinzelte sie resolut zurück. Nie würde sie sich vor diesen Menschen anmerken lassen, wie sehr sie sie verletzt hatten.
Hoch erhobenen Hauptes machte sie sich in die andere Richtung davon, zur Tür, die zum Treppenhaus führte.
Kit holte sie ein. »Rowena?«
»Lass mich in Ruhe, Kit.«
»Bitte sei meinem Bruder nicht böse, Rowena.«
Wütend fuhr sie zu ihm herum. »Wie kannst du ihn noch verteidigen, nach dem, was er zu mir gesagt hat?«
Er antwortete mit einer Gegenfrage. »Wie kannst du mich mögen und ihn hassen? Mach dir nichts vor, Liebes. Wenn ich Stryders Statur und Kraft besäße, hätte ich es diesem Cyril ebenso heimgezahlt.«
Sie schnaubte verächtlich. »Du würdest doch keiner Fliege was zuleide tun, Kit. Dafür bist du viel zu sanft.«
»Glaub mir, die Sanftmut wird einem im Leben recht schnell ausgetrieben. Stryder hat in seinem Leben viel mitmachen müssen. Du solltest ihn nicht so vorschnell verurteilen.«
»Ich ihn verurteilen? Hast du nicht gehört, was er zu mir gesagt hat?«
»Aye, das habe ich. Aber wisst Ihr, Mylady, Ihr hättet ihm auch dankbar sein können. Immerhin hat er Euch Cyril vom Hals geschafft und mich davor bewahrt, zusammengeschlagen zu werden. Wenn er nicht gewesen wäre, hättet Ihr den Grobian immer noch am Hals, und ich würde blutend am Boden liegen.«
Da war vielleicht etwas Wahres dran.
Vielleicht.
»Rowena?«
Sie spähte an Kit vorbei und sah, dass ihr Onkel auf sie zukam.
Kit entschuldigte sich und ließ die beiden allein.
»Fehlt dir auch wirklich nichts?«, wollte ihr Onkel wissen.
»Ich werde es überleben. Aber Lord Stryder wünsche ich die Pest an den Hals.«
Ihr Onkel erschrak. »Wie bedauerlich.«
»Warum?«
»Weil du ihn am Ende des Monats heiraten musst.«
4. Kapitel
Stryder hatte sich in sein Zelt geflüchtet. Allein. Nach der Auseinandersetzung mit Rowena und Cyril im großen Saal verspürte er nicht die geringste Lust auf Gesellschaft.
Immer noch klang ihm Rowenas Stimme in den Ohren, wie sie ihn und seinen Stand verhöhnte. Die Verachtung in ihrer Miene.
Ach, zum Teufel mit ihr. Weiber gab es genug. Und alle waren scharf auf ihn. Er brauchte sie nicht.
Und dieser Cyril ...
Er konnte den Kerl noch nie ausstehen. Technisch gehörte Cyril eigentlich zur Bruderschaft, doch er war nie einer der ihren geworden. Als sie alle noch im Loch saßen, mussten sie ihn ständig davon abhalten, die schwächeren Mitglieder ihrer Gruppe zu quälen, ihnen das wenige Essen wegzunehmen und andere Dinge mit ihnen anzustellen, an die er besser gar nicht denken wollte.
Sie konnten einander vom ersten Moment an nicht leiden.
Die Welt wäre wahrhaftig ein besserer Ort, wenn Menschen wie er nicht mehr darin leben würden.
Doch auch diese Gedanken schob Stryder beiseite. Wenn er schon an Leute denken musste, die ihm gegen den Strich gingen, dann wollte er doch lieber Rowena als Cyril nehmen.
Die Kleine war wenigstens hübsch, nein, eine Schönheit. Eine kleine, dralle Schönheit. Von der Sorte, die einen nicht mehr so schnell losließ. Die einem Mann nicht mehr aus dem Kopf gehen wollte, die ihn dazu brachte, sich zu fragen, wie wohl ihre Lippen schmeckten.
Wie es wäre, sie langsam und genüsslich zu vögeln ...
Wieder musste Stryder gedanklich umschalten.
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