Nacht über den Wassern
sich in Ray Patriarcas Gewalt. Jedesmal, wenn er daran dachte, brach ihm der kalte Schweiß aus. Er mußte sie retten – und dazu gab es nur eine Möglichkeit: Er mußte mit Tom Luther gemeinsame Sache machen
Er sah auf seine Uhr: Mitternacht.
Jack Ashford gab ihm die ungefähre Position der Maschine durch; es war ihm bisher noch nicht gelungen, sich auf einen Stern einzupeilen. Ben Thompson kam mit der neuesten Wettervorhersage: Der Sturm hatte es in sich. Eddie las ein paar neue Werte von den Treibstofftanks ab und machte sich daran, seine Berechnungen auf den neuesten Stand zu bringen. Vielleicht war das ja die Lösung: Wenn der Treibstoff nicht bis Neufundland reichte, dann mußten sie eben kehrtmachen, und damit hatte es sich. Tröstend war der Gedanke jedoch nicht. Eddie war kein Fatalist: Er mußte etwas unternehmen.
Captain Baker ließ sich vernehmen: »Wie steht‘s, Eddie?«
»Bin gleich soweit«, erwiderte er.
»Obacht – der point of no return dürfte bald erreicht sein.«
Eddie spürte, wie ihm eine Schweißperle die Wange hinunterlief. Verstohlen wischte er sie mit einer schnellen Handbewegung weg.
Er war mit seinen Berechnungen fertig.
Der verbliebene Treibstoff reichte nicht aus.
Er sagte erst einmal gar nichts.
Er beugte sich über seinen Notizblock und die Tabellen und tat so, als sei er noch beschäftigt.
Die Lage war ärger als zu Beginn seiner Schicht. Der Treibstoff reichte auf der von Captain Baker gewählten Route nicht einmal mehr für vier Motoren aus. Die Sicherheitsmarge war dahin. Der einzige Ausweg bestand jetzt darin, die Reiseroute zu verkürzen und nicht am Rand des Sturms entlang, sondern mitten durch ihn hindurchzufliegen. Und wenn ein Motor ausfallen sollte, waren sie selbst dann erledigt.
Sämtliche Passagiere werden umkommen und ich mit ihnen, dachte Eddie. Was wird dann aus Carol-Ann?
»Na los, Eddie«, sagte der Captain. »Wie steht‘s? Weiter nach Botwood oder zurück nach Foynes?«
Eddie knirschte mit den Zähnen. Der Gedanke, Carol-Ann noch einen Tag länger in den Händen der Kidnapper zu wissen, war unerträglich.
»Wären Sie bereit, den Kurs zu ändern und durch den Sturm zu fliegen?« fragte er.
»Muß das sein?«
»Entweder das – oder umkehren.« Eddie hielt den Atem an.
»Mist«, sagte der Captain. Niemand kehrte gerne auf halber Strecke über dem Atlantik wieder um; es war einfach deprimierend. Eddie wartete auf die Entscheidung des Kapitäns.
»Teufel auch«, sagte Captain Baker. »Dann fliegen wir eben durch den Sturm.«
4. Kapitel
D iana Lovesey war ihrem Mann Mervyn, der in Foynes zugestiegen war, bitterböse. Daß er sie verfolgte, war ihr vor allem peinlich; sie fürchtete, der Lächerlichkeit preisgegeben zu sein. Außerdem war es ihr unlieb, daß er ihr immer noch Gelegenheit bot, ihre Meinung zu ändern. Sie hatte ihre Entscheidung getroffen, aber da Mervyn an deren Endgültigkeit zweifelte, kamen ihr ebenfalls Bedenken. Nun mußte sie ihren Entschluß jedesmal, wenn er sie darum bat, sie möge die Sache doch noch einmal überdenken, von neuem treffen. Die Freude an dem Flug, dies kam noch hinzu, hatte er ihr gründlich verdorben. Es hätte die Reise ihres Lebens sein sollen – ein romantisches Abenteuer mit ihrem Liebhaber. Doch das berauschende Freiheitsgefühl, das sie beim Start in Southampton verspürt hatte, war ein für allemal dahin. Der Flug, die luxuriöse Maschine, die eleganten Menschen und die erlesenen Speisen bereiteten ihr keinerlei Freude mehr. Da sie jeden Augenblick damit rechnen mußte, daß Mervyn zufällig durch ihr Abteil kam und sie beobachtete, wagte sie kaum, Mark zu berühren, ihm einen Kuß auf die Wange zu geben, seinen Arm zu streicheln oder seine Hand zu halten. Wo Mervyn saß, wußte sie nicht, aber sie rechnete ständig mit seinem plötzlichen Erscheinen.
Mark war von der neuen Entwicklung völlig überrumpelt worden. Nachdem Diana Mervyn in Foynes den Laufpaß gegeben hatte, war er zunächst restlos begeistert gewesen und hatte, wieder ganz der alte Gefühlsmensch und Optimist, von Kalifornien geschwärmt und Diana bei jeder sich bietenden Gelegenheit geküßt. Doch dann hatte er voller Entsetzen mit ansehen müssen, wie sein Rivale an Bord kam. Inzwischen wirkte er wie ein Ballon, aus dem die Luft entwichen war. Schweigsam saß er neben seiner Geliebten und blätterte trübsinnig in Zeitschriften herum, ohne auch nur ein einziges Wort zu lesen. Diana konnte seine Niedergeschlagenheit gut
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