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Nacht über der Prärie

Nacht über der Prärie

Titel: Nacht über der Prärie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Liselotte Welskopf-Henrich
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zujagten. Es folgten Lastwagen, gefüllt mit Männern, Hacken, Spaten, Gasmasken; das waren die Waldbrandbekämpfungstrupps, die jetzt auf der Prärie eingesetzt werden sollten. Die Sirenen, die allmählich verklangen, waren Hoffnung für Queenie. Vielleicht konnte das Feuer gestoppt werden, ehe Stonehorn samt den Pferden darin unterging.
    Stunden strichen dahin.
    Queenie lehnte sich an die Schulter der Großmutter; sie fiel in einen Halbschlummer und kam erst wieder ganz zu sich, als das Morgenrot unter grauen Wolken am Horizont schon verblaßte. Einer der Löschzüge heulte hinter dem Cabriolet und zischte daran vorbei, zurück nach New City. Die Hauptgefahr mußte demnach gebannt sein. Queenie raffte sich auf. »Wollen wir umkehren?«
    »Ja.«
    Mit nicht mehr als vierzig Meilen fuhr Queenie wieder zu der Agentursiedlung. Die Lichter hinter den Fenstern waren erloschen. Der ganze Himmel bezog sich grau, und die ersten Tropfen fielen. Queenie hielt bei der Agentur nicht an, lenkte aber auch nicht in die Straße ein, die nach Hause führte, sondern fuhr zu einem in hellem Gelb gestrichenen Haus inmitten der Neubauten für Indianerfamilien. Durch das Fenster konnte sie erkennen, daß die Familie, die es bewohnte, schon aufgestanden oder vielleicht auch gar nicht zu Bett gegangen war. Während die Großmutter im Wagen sitzen blieb, klopfte Queenie an der Haustür und trat ein.
    Die kleine Wohnung war sehr sauber gehalten. Eine grauhaarige Indianerin, vielleicht fünfzig Jahre alt, groß gewachsen und von stolzer Haltung, kam der jungen Frau entgegen.
    »Tashina!«
    Die junge Frau setzte sich auf die Couch, die wohl des Nachts als Schlafgelegenheit diente.
    »Verzeihen Sie, daß ich einfach komme«, sagte sie, und etwas verengte ihr die Kehle, so daß sie nur stockend sprechen konnte. »Ich weiß nicht mehr ein noch aus.«
    »Ihr seid abgebrannt?«
    »Ich weiß nicht.«
    »Eure Pferde?«
    »Ich weiß nicht.«
    »Wo ist dein Mann?«
    »Ich weiß nicht. Er ist zurückgeblieben, während ich… während wir… ich meine, die Großmutter und ich… mit dem Wagen… in Sicherheit…« Queenie zuckte, ihre Lippen arbeiteten, dann nahm sie die Hände vor das Gesicht und schluchzte erbärmlich.
    Die Frau wartete. Sie tröstete nicht. Sie wurde auch nicht ungeduldig. Sie blieb ruhig sitzen, bis Queenie die Hände abnahm und sie mit großen Augen aus ihrem entstellten, nassen, bleichen Gesicht anschaute.
    »Was ist mit dir?« fragte die grauhaarige große Frau jetzt in der Stammessprache. »Warum gehst du denn nicht nach Hause? In eurem Tal soll das Feuer zum Stehen gebracht worden sein.«
    Queenie gab einen Ton von sich; es war ein halber Seufzer und ein halbes Aufstoßen. Sie wischte das nasse Gesicht ab, und es war sichtbar, daß sie sich zugleich schämte und völlig verzweifelt war.
    »Also, was ist, Tashina? Sag mir, was ist. Ich bin deine alte Lehrerin.«
    Die junge Frau nickte.
    »Frau Holland – ich… Wie soll ich denn das Baccalaureat machen? Ich muß es machen. Aber ich kann nicht zurück auf die Kunstschule… das ist zu weit fort. Und das geht nicht.«
    Queenies Finger spielten nervös.
    Die Frau schüttelte den Kopf. »Und muß das jetzt entschieden werden, in diesem Augenblick, nach der Brandnacht, und ehe du weißt, ob dein Mann noch lebt? Was ist denn geschehen, Tashina?«
    »Frau Holland, mein Mann ist ein harter Mann, und ich kann heute nicht nach Hause kommen, wenn ich ihm nicht zu sagen vermag, wo und wann ich das Baccalaureat mache…«
    Die Frau lächelte, während sie den Kopf noch einmal schüttelte. »Tashina, ihr Kings seid merkwürdige Vögel! Als eine echte neue King bist du nun auch so ein merkwürdiger Vogel geworden und willst von deiner alten Lehrerin nach der Brandnacht und vor dem Frühstück erfahren, wo du das Baccalaureat zu machen hast.«
    Queenie nickte wieder, ohne das Lächeln der Frau mit ihr zu teilen. »Ich muß es wissen. Sonst kann ich nicht nach Hause gehen.«
    »Joe würde dich nicht gleich umbringen…«
    Queenies Mundwinkel zuckten.
    Der Frau verging das Lächeln. »Tashina, ich habe schon gehört, daß es große Aufregung und großen Ärger gegeben hat, weil du dich weigerst, die 12. Klasse der Kunstschule zu besuchen. Wegen des Kindes brauchte es nicht zu sein, daß du fernbleibst. Du bist verheiratet. Die Schule würde jede Rücksicht nehmen…«
    »Ich will aber jetzt nicht fort.«
    »Das nimmt dir niemand ab. Eivie hat sich nur selbst geschadet mit diesem Attest für dich;

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