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Nacht über der Prärie

Nacht über der Prärie

Titel: Nacht über der Prärie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Liselotte Welskopf-Henrich
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Horwood hat Sie nicht ganz zutreffend unterrichtet, Mister Holloway. Das Urteil wegen Diebstahls gegen Joe King ist revidiert; Joe hat nicht gestohlen. Er war aus Verzweiflung im Gefängnis ein Gangster geworden, doch hat er sich nachweislich, unter großer persönlicher Gefahr, von den Gangs losgesagt. Wenn er sich im Gasthaus schlug, dann nur, um ein paar Stammesgenossen gegen eine aufgeregte Meute weißer Männer zu verteidigen. Er hat jung geheiratet, ein schönes, angesehenes Mädchen, er hat eine Ranch aufgebaut, er ist Rodeo-Sieger. Verdächtigen Sie niemanden ins Blaue hinein, Mister Holloway. Sie sind auf dem Holzweg.«
    »Das sagen Sie. Die Polizei ist anderer Meinung. Einem solchen jungen Burschen, der in allen Waffen und Schlichen geübt und mit allen Wassern gewaschen ist, kann man auch alles zutrauen.«
    »Auch alles Gute, hau.«
    »Es ist anzunehmen, daß er für seine Ranch Geld braucht. Er steckt in Zuchtspekulationen. Sie wissen das sicherlich, Mister Morning Star.«
    »Prächtige Pferde hat er. – Sind bei Dr. Bergen Erpresserbriefe eingegangen?«
    »Bis jetzt nicht.«
    »O. k. Das Weitere kann ich wohl auf der Polizei erfahren. So gut wie Sie, Mister Holloway.«
    Morning Star verabschiedete sich mit knapp bemessener Höflichkeit und fuhr zu der Polizeistation, die neben Bank, Schule und Post an der Hauptstraße von New City gelegen war. Er brauchte wiederum nicht zu warten; er wurde sofort zur Kriminalabteilung verwiesen.
    »Sache Bergen? Sie können uns weiterhelfen, Morning Star? Der Vater hat jetzt eine Belohnung von 40000 Dollar ausgesetzt.«
    Der Indianer schlüpfte in die Empfindungswelt des ihm bekannten Kriminalbeamten hinein und erkannte sogleich, wodurch sich dieser zum Beispiel von dem Büchsenmacher Bill Krause unterschied. Krause liebte die Menschen, war seit dem Tode seiner Frau und seines Sohnes traurig: er brachte nie mehr Mut auf, als sich für einen Geschäftsmann geziemte. Seine ergrauenden Haare standen borstig eigenwillig auf dem Kopf, die strohblonden Augenbrauen waren noch dicht und buschig. Der Beamte aber liebte die Menschen im allgemeinen nicht, sondern hielt sie für potentielle Verbrecher, mit Ausnahme vielleicht seiner eigenen Familie. Das Gefühl der Traurigkeit kannte er kaum, nur das des Ärgers über einen Mißerfolg. Er brachte den Mut zum Risiko auf, von Natur, wie das straffe Yankee-Gesicht sagte, aber auch um des nicht eben hohen Gehalts willen, mit dem er dafür bezahlt wurde. In der aufblühenden Stadt mit ihrer wechselnden Bevölkerung taten Menschen jeden Tag etwas, was den Gesetzen nicht entsprach, angefangen vom Verkehrsdelikt bis hin zum Mord. Die Verbrechensbekämpfung war eine Routineleistung des Beamten; er teilte Verdachts- und Entlastungsmomente so glatt ein, wie der Kamm seine Haare scheitelte. Sonderfälle mußten ihn stören und Unlustgefühle in ihm hervorrufen.
    Er war kein Freund der Indianer überhaupt, da sie für ihn immer schwer zu verstehen waren, und sicherlich verabscheute er Joe King, von dem man nie wissen konnte, ob er der Polizei nicht überlegen sein würde. Doch hätte er unbewiesenen Behauptungen kaum so windverweht nachgegeben wie Mr. Holloway. Die Aufklärung oder Nicht-Aufklärung eines einzelnen Falles berührte seine Einnahmen, im Unterschied zu denen eines Privatdetektivs, überhaupt nicht, und seine Laufbahn hing nicht unmittelbar damit zusammen.
    Frank fragte sich aber doch, wie weit die Abneigung gegen Joe King, die der Kriminalist mit allen Polizisten von New City teilte, von den Vorstellungen über korrektes und routinemäßiges Beamtenverhalten in Schranken gehalten werden konnte.
    »Sie werden schon wissen«, sagte der Beamte, »daß wir Joe King im Verdacht haben.«
    »Ich bin verantwortlich für meine Stammesgenossen. Kann ich den Polizeibericht lesen?«
    Der Beamte überlegte. »Nein. Aber der Superintendent Ihrer Reservation ist informiert. Gehen Sie dorthin. Sie unterstehen ihm, und er hat die Befugnis, Sie zu unterrichten, wenn er das für zweckmäßig hält.«
    In Frank sprang ein jäher Zorn auf wie jedesmal, wenn er als Indianer die Vormundschaft der Weißen zu fühlen bekam. Aber er zwang sich zur Ruhe.
    »Wir wünschen natürlich nicht«, fügte der Beamte hinzu, »daß Joe King erfährt, was wir bereits wissen.«
    »Warum nicht? Er wäre der beste Scout und Detektiv, den Sie auf 800 Meilen im Rund finden. Wenn überhaupt jemand, dann kann er die beiden Verschwundenen aufspüren.«
    Der Beamte lächelte;

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