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Nacht über der Prärie

Nacht über der Prärie

Titel: Nacht über der Prärie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Liselotte Welskopf-Henrich
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kann. Denn verläßliche Zeugen für ein Alibi findet ein Joe King nicht. Die Indizien sind aber eindeutig. Diesmal werden sie ihn wohl hinrichten.«
    Queenie hatte die Lider gesenkt.
    »Die Kassiererin des Supermarket hat dich am Abend vor dem Sturm gesehen.« Das war eine weitere Testfrage.
    »Natürlich. Ich habe dort eingekauft.«
    »Ja, so hat die Kassiererin auch berichtet. Und in der Nacht darauf hat es Schüsse gegeben, die sind gehört worden, und es hat Tote gegeben, die sind gefunden worden. Dein Vater hat Anzeige erstattet, und Joe King wurde verhaftet, weil er am ehesten eines Mordes verdächtig ist.«
    »Harold war unter den Toten?«
    »Nein, unter diesen Banditen war er nicht. Wir haben die Toten schon identifiziert. Es sind Kumpane von Stonehorn gewesen, die ein unrühmliches Ende verdient und gefunden haben. Banditenkrieg. Darum kümmert sich unser Gericht nicht.«
    »Und was ist nun? Warum bist du hierhergekommen?«
    Runzelmann lächelte verstohlen. Das Mädchen war nicht dumm.
    »Der oberste Richter will dich befragen, da du zu denjenigen gehörst, die Harold und Joe zuletzt vor der Sturmnacht gesehen haben.«
    »Gut. Wann muß ich kommen?«
    »Am besten gleich. Aber wenn du dich erst mit deinem Vater besprechen willst, Queenie, dann werde ich dir die Zeit dazu auf irgendeine Weise verschaffen.«
    »Es gibt gar nichts zu besprechen.«
    Runzelmann atmete auf. »Also komm mit, dann hast du es hinter dir.«
    Die beiden machten sich zusammen auf den Weg zum Stammesgericht. Als Queenie in das Zimmer des alten Gerichtspräsidenten eintrat, war dieser allein, und auch Runzelmann, der Queenie bis dahin begleitet hatte, zog sich zurück.
    Der Richter lud Queenie ein, Platz zu nehmen.
    »Es tut mit leid, Queenie. Du bist ein angesehenes Mädchen aus einer angesehenen Familie. Allein dadurch, daß dich ein Bandit begrüßte und… und… daß… du!… du!… seinen Gruß erwidert hast, wirst du nun in diese Verhandlung hineingezogen, die den Namen ›In Sachen Joe King‹ tragen wird. Du siehst, daß es besser ist, sich von solchen Menschen vollständig fernzuhalten. Aber was geschehen ist, läßt sich leider nicht ändern.«
    Queenie zeigte in ihren Mienen die Erwartung, daß der President weitersprechen werde.
    »Es geht um einen Mord, und so geht es jetzt auch hier vor unserem Gericht um Tod und Leben. Es geht aber auch darum, daß wir vor künftigen Mordtaten sicher sein wollen, und das wird nur der Fall sein, wenn wir den Mörder nie mehr unter uns zu haben brauchen.«
    Queenie schwieg. Es wurde auch keine Antwort von ihr erwartet.
    »Ich habe mir das überlegt«, sprach der alte Richter weiter. »Ich wollte dich möglichst schonen. Aber du bist ein Mädchen aus der Familie Halkett, und deine Vorfahren sind Ratsmänner unseres Stammes gewesen. Ich kann dir zutrauen, daß du immer tapfer bleibst und daß du nicht diese überflüssigen und unnützen Regungen kennst, die die weißen Männer Nerven nennen.« – Der alte Richter machte eine Pause, als ob er einen Entschluß noch einmal überlege, und gab ihn dann bekannt: »Ich werde dich jetzt dem Joe King gegenüberstellen. Was er auch sagen mag, fühle dich nicht befleckt durch seine möglichen Lügen. Damals vor dem Supermarket wurdest du überrumpelt, aber nun bist du auf alles gefaßt.«
    »Das bin ich.«
    Ich befehle meinem Gesicht, eine Maske zu sein… meine Gefühle sind verwundbar… sie müssen bedeckt werden…
    Queenie dachte an diese Worte, die aus ihr geboren waren und die Conny als die seinen hatte drucken lassen. Diese Zeit war vorbei. Es waren erst zwei Wochen vergangen, und schon schien ihr die Schule weit in der Ferne zu liegen, in einer Ferne, die sie nie mehr würde erreichen können, auch dann nicht, wenn sie einmal in jenes Zimmer mit den schweigsam abgeschatteten Farben und den sprechenden Bildern zurückkehrte.
    Sie wies alle schweifenden Gedanken fort, denn der Richter hatte Runzelmann beauftragt, Joe King herüberbringen zu lassen. Sie hörte, wie Runzelmann das Gerichtshaus verließ.
    Sie hörte, wie wenige Minuten später die Haustür wieder geöffnet wurde, wie schwere und mittlere Tritte hereinkamen, zwischen denen sie leichte nicht zu erlauschen vermochte. Vor der Tür des Raumes, in dem sie saß, machten alle Tritte halt. Der große Polizist öffnete und zog Joe King am Arm hinter sich her, der kleine folgte, die Pistole wieder in der Hand.
    Die Tür wurde von Runzelmann verschlossen; er drehte den Schlüssel zweimal im

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