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Nacht über der Prärie

Nacht über der Prärie

Titel: Nacht über der Prärie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Liselotte Welskopf-Henrich
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der Scheckhengst war teuer, und erst ein Preis auf einem großen Rodeo konnte die weiteren Abzahlungsraten sichern. Während ihres Rittes vergaß Queenie aber die drohenden Abzahlungsraten und die bevorstehende Hitze des Tages. Sie gab sich dem Wohlgefühl hin, auf einem jungen Pferd über die gelbgrauen Wiesen zu fliegen; den Staub ließ sie hinter sich. Über den Bergen schimmerte das erste Licht. Queenie war in diesem Land groß geworden. Wenn sie jedes Jahr den Mond neunmal wachsen und sterben sah, während sie fern der Heimat zwischen spanischen Häusern und feuchten Gärten lebte, auf weichen Kissen schlief, Wasser über den ganzen Körper spülen konnte und leckere Speisen aß, so sehnte sie sich doch im zehnten Mond ein jedesmal auf eine überwältigende Weise zurück nach Öde, Weite, Hitze und Sturm und nach den Menschen, die dazu gehörten. Sie war an diesem Morgen gelöst und mutwillig wie als Kind. Immer wieder ließ sie ihre Stute um kleine Hindernisse wenden und kreisen. Sie wollte ihren Mann noch vor Ferienende und Schulbeginn mit einigen Slalomkunststücken in gutem Tempo überraschen.
    Queenie, die vor Morgengrauen aufgebrochen war, erschien nach ihrem spielerischen Ritt noch als eine der ersten an der Wasserstelle und konnte ihre Säcke füllen.
    Wenn sie jetzt zurückkam, fand sie Stonehorn ohne Zweifel schon bei seinem Scheckhengst, an den sich nicht so leicht ein anderer Reiter heranwagen durfte und der auch den Dunkelbraunen scheuchte. Sie freute sich darauf, mit ihrem Mann zu lachen, ehe die Mittagshitze Mensch und Tier wieder schläfrig machen würde.
    Das kleine Haus tauchte vor ihren Augen auf; die Großmutter saß im Freien und schälte wilde Rüben, die Hunde hatten sich faul in die Sonne gelegt, die Pferde suchten betautes Gras im Schatten einer alten Kiefer. Aber Stonehorn war nicht zu sehen und der Wagen auch nicht. Die Spuren verrieten, daß das Cabriolet den Weg hinabgefahren worden war.
    Queenie sprang ab und versorgte ihre Stute. Sie konnte vor sich selbst nicht verhehlen, daß sie enttäuscht war. Die Großmutter half ihr, die Wassersäcke zu einer kühlen Stelle am Haus zu schleppen. Einen Keller gab es nicht.
    Queenie überlegte. Die Morgenstunden würden bald von heißer Sonne durchstochen werden. Wozu konnte die Zeit noch nütze sein? Sie holte sich ihre Materialien für ein Aquarell. Sie wollte Kate Carsons Vorschlag nachgeben und Skizzen vom Rodeo hinwerfen. Der Stab der Agentur, Superintendent, Dezernenten, auch Eivie, konnten zahlen. Aber Queenie war innerlich verlegen, weil sie noch nie mit dem Ziel, Geld zu verdienen, eine Arbeit begonnen hatte. Ihre Vorstellungen verwirrten sich. Als sie sich umständlich eingerichtet und endlich entschlossen hatte, eine Skizze des Bronc-Reiters zu versuchen, sagte die Großmutter, ohne von den Rüben aufzublicken:
    »Inya-he-yukan ist mit dem Superintendent weggefahren.«
    Die Mitteilung berührte Queenie wie eine Stechmücke ein Pferd. Ihr Empfinden schlug sofort um. »Was hat Hawley im Sinn, Untschida?«
    »Ich weiß es nicht, Tashina. Ich konnte die Worte, die sie sprachen, nicht verstehen, denn sie haben englisch gesprochen, und dann waren sie auf einmal alle weg, während ich Dung fortbrachte.«
    »Alle?«
    »Mit dem Superintendent war noch ein anderer Mann gekommen.«
    Die Großmutter sprach das Wort Superintendent nur mit einer Art angst- und haßvoller Scheu aus. Sie gehörte noch zu der Generation, für die in der Jugend der Superintendent das siegreiche Böse, der oberste der Geister und zugleich der allmächtige Vater gewesen war. Für Queenie, die auf die Schule ging und in ihren Kunstfächern von berühmten Professoren unterrichtet wurde, war ein Mensch ein Mensch, der Superintendent aber ein Mensch mit einem Vorzimmer und einem Sessel, der ihn befugte, über Indianer zu regieren.
    »Du weißt also nicht, Großmutter, wann Stonehorn zurückkommt?«
    »Nein.«
    Die Rüben waren geschält; Queenie machte Feuer und setzte die Mahlzeit auf dem kleinen eisernen Ofen zum Kochen an. Dann ging sie wieder an ihre Skizze. Sie hatte zögernd an einen Bronc und seinen Reiter gedacht, aber nun umriß ihre Hand schnell und sicher, von einer plötzlichen Eingebung gehetzt, einen schwarzen langhörnigen Stier, der seinen Angreifer auf den Hörnern davontrug. Es kam Wind, Staub, Anspannung, Mut und Erschöpfung in das Bild, durchdringende und nachlassende Kraft; es war alles Bewegung, Gefahr und Schweiß, ein heißer Rhythmus,

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