Nacht über Eden
harmlose Verrücktheit. Auf jeden Fall«, sagte er und lehnte sich wieder vor, »wurde ich gequält von Alpträumen über meinen nahen Tod. Im Winter war es besonders schlimm, denn die Nächte sind dann so lang – man hat zu viel Zeit für zu viele Träume! Ich versuchte, den Schlaf zu verdrängen bis kurz vor dem Morgengrauen. Manchmal gelang mir das auch. Wenn ich merkte, daß ich es nicht schaffen würde, ging ich hinaus und ließ die kalte, klare Luft meine trübsinnigen Gedanken wegwaschen. Ich wanderte die Wege unter den Pinien entlang, und erst wenn mein Kopf wieder klar war, kam ich hierher zurück und versuchte zu schlafen.«
»Wieso bist du im Winter hier geblieben? Du hattest doch genug Geld, hinzugehen, wo immer du wolltest, oder?«
»Ja. Ich versuchte, allem zu entkommen. Ich verbrachte den Winter bald in Florida, bald in Neapel oder an der Riviera, überall auf der Welt. Ich reiste unaufhörlich. Doch meine Wintergedanken waren immer in meinem Gepäck, sie begleiteten mich überall hin. Ich konnte sie nicht abschütteln, ganz gleichgültig, was ich tat und wohin ich ging. So kehrte ich immer wieder geschlagen nach Hause zurück, und es blieb mir nichts anderes übrig, als mein Schicksal anzunehmen!
Irgendwann während dieser Zeit kam deine Mutter hierher.
Eine Blume in der Wüste… fröhlich, hell und wunderschön.
Ich wußte, daß sie in ihrem jungen Leben bereits viel durchgemacht hatte, doch sie schien trotzdem noch den Optimismus und die Unschuld der Jugend zu besitzen; das, was ältere Menschen so neidisch macht.
Du hast dasselbe wunderbare Leuchten in den Augen, Annie.
Ich kann es sehen. Obwohl dir und den Menschen, die du liebst, schreckliche Dinge zugestoßen sind, ist dieses Strahlen noch da – wie eine große brennende Kerze in einem dunklen Tunnel. Irgendein beneidenswerter Mensch wird durch dieses Licht aus der Dunkelheit seiner eigenen traurigen Gedanken geleitet werden und glücklich in der Wärme, die von dir ausgeht, leben. Ich weiß es.«
Ich konnte nicht umhin zu erröten, denn ich war es nicht gewohnt, daß ein Mann solche Dinge zu mir sagte.
»Danke«, stammelte ich. »Aber – du hast mir noch nicht erzählt, was dich dazu getrieben hat, mit diesem Pferd ins Meer zu reiten.«
Er lehnte sich zurück und verschränkte erneut seine Hände hinter dem Kopf. Das war offensichtlich seine Lieblingshaltung. Lange Zeit dachte er nach, die Augen starr zur Decke gerichtet.
Ich wartete geduldig, denn ich konnte mir gut vorstellen, wie schwer es für jemanden sein mußte, zu erklären, warum er seinem Leben ein Ende setzen wollte. Schließlich wandte er sich mir wieder zu.
»Als ich deine Mutter kennengelernt hatte, und die Heiterkeit und Lebendigkeit, die sie umgab, da erfüllte mich wieder Hoffnung, was mein eigenes Leben betraf, und eine Zeitlang war ich ein ganz anderer Mensch. Ich dachte sogar… ich glaubte, ich könnte eine Frau wie sie finden und heiraten und Kinder haben – vielleicht eine Tochter, so wie du.
Meine Traurigkeit kehrte jedoch zurück, als sich mir dieser Wunsch nicht erfüllte. Ich hatte eine deprimierende Wirkung auf die meisten Frauen, weißt du, denn sie hatten nicht genug Geduld, um mit meinem Wesen zurechtzukommen. Eines Tages, auf einer Party, die Tony gab, um mich aufzuheitern, entschied ich mich für den Tod… den Tod, der mich mein ganzes Leben lang verfolgt hatte, den Tod, der in den Schatten saß und mich angrinste, meiner harrte, mich mit seinen dunklen, grauen Augen verfolgte… der geduldig auf eine günstige Gelegenheit wartete. Ich hatte keine Lust mehr, mein ganzes Leben auf der Flucht vor seinem Zugriff, dem ich letztendlich ohnehin nicht entkommen konnte, zu verbringen.
Ich forderte den Tod heraus, und das überraschte ihn. Er wußte nicht, wie er reagieren sollte. Ich ritt Jillians wildes Pferd ins Meer, und ich war mir sicher, daß damit das Ende meiner traurigen Existenz gekommen sein würde…
Doch wie ich schon sagte, der Tod war zu überrascht. Ich wurde an den Strand gespült, lebend. Ich hatte ein weiteres Mal versagt.
Ich erkannte jedoch, daß sich mir die Gelegenheit bot, auf andere Art zu entfliehen. Ich ließ alle in dem Glauben, ich sei tot. Das gab mir die Chance, zu einem anderen, einem Schattenwesen, zu werden, und ein für allemal Ruhe zu haben vor Menschen, die mich aufheitern wollten. Ich hatte sie ohnehin immer nur enttäuscht, denn sie hatten schließlich nie Erfolg gehabt mit ihren Bemühungen und hatten sich
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