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Nacht über Eden

Nacht über Eden

Titel: Nacht über Eden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: V.C. Andrews
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an seine Schulter.
    »Du hast es geschafft! Du hast es geschafft, Annie! Es geht aufwärts. Nichts kann dich jetzt mehr zurückhalten!«
    Plötzlich flossen meine Tränen. Sie ließen einen Regenbogen des Glücks in blauen und gelben Farben und einen Schleier der Traurigkeit in grauen Schattierungen vor mir entstehen. Ich weinte wegen meines Erfolgs, und ich weinte, weil ich in den Armen eines Menschen lag, der – das wußte ich jetzt – warm und voller Liebe sein konnte und doch gefangen war in einer Welt der Dunkelheit…
    Er half mir in meinen Rollstuhl und machte dann einen Schritt zurück. Stolz blickte er auf mich herunter – wie ein Vater, der gerade miterlebt hatte, wie sein Baby die ersten Schritte macht.
    »Ich danke dir.«
    »Ich bin es, der sich bedanken muß, Annie. Du hast es geschafft, daß die Wolken sich heute ein wenig verzogen haben und ein wenig Sonnenlicht in meine Welt gedrungen ist.
    Aber«, sagte er und blickte auf seine Großvateruhr, »ich hätte dich schon längst zurückbringen sollen. Wenn sie dort tatsächlich keine Ahnung haben, wo du bist, dann sind sie sicher schon ganz außer sich vor Sorge.«
    Alles, was ich zustande brachte, war ein Nicken. Ich war völlig erschöpft, und die Aussicht, in meinem großen, bequemen Bett oben in Farthy zu liegen, schien mir jetzt unglaublich verlockend.
    »Wirst du kommen und mich besuchen?« fragte ich ihn.
    Meine Tage in Farthy erschienen mir auf einmal in einem helleren Licht, als ich mir vorstellte, daß ich Troy wiedersehen könnte…
    »Nein. Du wirst mich besuchen kommen… hier draußen.
    Und du wirst sehr bald kommen, da bin ich mir sicher.«
    »Und wenn ich Farthy verlassen habe und zurück in Winnerrow bin, wirst du mich dann besuchen?«
    »Ich weiß es nicht, Annie. Ich verlasse die Hütte seit langem nur ganz selten.«
    Er begann mich hinauszuschieben. Die Nachmittagssonne war ein ganzes Stück weitergewandert, seit wir den Irrgarten durchquert und die Hütte betreten hatten. Nun fielen lange Schatten auf die kleine Wiese und den Garten. Das Labyrinth sah viel dunkler und dichter aus als zuvor.
    »Du frierst«, sagte Troy. »Warte.« Er eilte in die Hütte zurück und erschien mit einer leichten, eierschalenfarbenen Wolljacke. Ich zog sie schnell an. »Besser?«
    »Ja, danke.«
    Als wir diesmal in den Irrgarten kamen, hatte ich das Gefühl, als würden wir eine dunkle Grenze zwischen einer glücklichen und einer traurigen Welt überqueren. Ich wünschte mir so sehr, umzukehren und zurück zu Troys Hütte zu gehen! Wie schnell hatte ich Vertrauen zu ihm gefaßt und mich bei ihm wohlgefühlt!
    »Vielleicht werde ich eines Tages dir helfen, deine ersten Schritte zu tun, Troy«, sagte ich.
    »Meine ersten Schritte? Wie meinst du das, Annie?«
    Wir bogen um eine Ecke.
    »Deine ersten Schritte in die helle, warme Welt, in die du eigentlich gehörst. Die Welt, die du verdienst.«
    »Oh. Vielleicht hast du das schon getan. In gewissem Sinne sind wir beide Krüppel, glaube ich.«
    »Auf dem Weg der Besserung«, versicherte ich ihm mit einem Lächeln.
    »Ja, auf dem Weg der Besserung«, stimmte er zu.
    »Wir beide?« fragte ich und hob die Augenbrauen.
    »Ja, wir beide.« Er lachte. »Ich glaube nicht, daß ich in deiner Nähe weiter so melancholisch sein könnte. Du würdest das nicht lange dulden; deine Mutter war genauso.«
    »Du mußt mir mehr von ihr erzählen… jedes Mal, wenn wir uns unterhalten.«
    »Ja, das werde ich tun.«
    »Dann müssen wir uns sehr oft unterhalten«, sagte ich.
    »Versprichst du mir das?«
    »Ich werde mein Bestes tun.«

Als wir aus dem Irrgarten herauskamen, war niemand vor dem Haus zu sehen. Ich war mir sicher, daß sie mich suchen würden, aber sie würden sicher nicht auf den Gedanken kommen, daß ich hier draußen sein könnte. Selbstverständlich hatten sie den Fahrstuhl am unteren Ende der Treppe vorgefunden und wußten deshalb, daß ich hinuntergefahren war, aber sie glaubten sicherlich, daß ich mich irgendwo im Erdgeschoß befand.
    »Ich werde dir die Rampe hinaufhelfen«, sagte Troy. Er schob mich bis vor die Haustür. »So da sind wir! Gute Nacht, Annie, und vielen Dank. Ich werde heute keine Alpträume haben«, fügte er hinzu und schenkte mir ein warmes Lächeln.
    »Ich auch nicht.«
    »Darf ich dir einen Abschiedskuß geben?«
    »Ja, gerne.«
    Er beugte sich herab und küßte mich zärtlich auf die Wange.
    Dann ging er eilig fort. Als ich mich umdrehte, sah ich ihn noch einen Augenblick lang; dann

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