Nacht über Eden
Liebes.« Sie setzte sich neben mich und ergriff meine Hand. »Ich weiß, daß du’s nich zugelassen hättest, wenn du was dagegen hättest machen können. Die Liebe ist einfach aus dir rausgesprudelt und aus ihm auch.
Niemand kann euch Vorwürfe machen. Wart ja schon als Kinder wie zwei Blumen tief drinnen im Wald. Eure Liebe ist frei und wild gewachsen. Und jetzt müßt ihr euch wieder voneinander losreißen. Das tut natürlich weh, und weil bei dir noch so viel dazukommt, ist es doppelt hart für dich. Aber ich werd bei dir sein und dir da durchhelfen, Annie.«
»Aber Luke?« weinte ich. Er hatte niemanden, der ihm helfen und ihn trösten konnte.
»Du mußt ihn seinen eigenen Weg gehen lassen, Annie. Das hab ich dir doch schon gesagt. Er hat nich nur Luke Casteels Namen, er hat auch sein Blut geerbt. Ich hab meinen Daddy geliebt, aber er war ‘n Mann, hinter dessen schönen Augen immer ein heißes Feuer gebrannt hat.«
»Tante Fanny, ich fühle mich so krank, so leer und einsam.
Ich kann es nicht ertragen«, stöhnte ich. Sie legte die Arme um mich und drückte mich einen Augenblick lang an sich; dann küßte sie mich auf die Stirn und schob mich eine Armlänge zurück.
»Nun komm, Annie. Ich helf dir ins Bett. Mußt doch an deine Gesundheit denken.«
Als ich wieder unter der Decke lag, beugte sie sich zu mir herab, küßte mich auf die Stirn und strich über mein Haar, so wie es Mammi früher getan hatte.
»Nun schlaf, Annie. Ich werd hier sein und dir helfen, bis du wieder allein klarkommst.«
»Danke, Tante Fanny.«
»Wir Frauen müssen doch zusammenhalten«, meinte sie und lächelte. Dann küßte sie mich noch einmal und ließ mich allein in der Dunkelheit zurück. Immer noch glaubte ich, das Echo von Lukes Stimme zu hören und seine Augen dicht vor meinem Gesicht zu sehen…
»Es ist nichts Schmutziges; es kann nichts Schmutziges daran sein«, sagte ich mir immer wieder. Dann schlief ich ein.
23. KAPITEL
DAS GEHEIMNIS DER KLEINEN HÜTTE
Die nächsten anderthalb Wochen waren schwierig für mich, in gewissem Sinne sogar härter als die Zeit, die ich in Farthy verbracht hatte. Nicht, daß auch hier irgend jemand grausam zu mir gewesen wäre; davon konnte gar keine Rede sein.
Sowohl die Angestellten als auch meine Tante Fanny hätten gar nicht hilfsbereiter, liebevoller und aufmerksamer sein können. Aber jetzt, so kurz nach dem Tod meiner Eltern hatte ich auch noch Luke verloren; Luke, von dem ich gedacht hatte, er würde immer für mich da sein; Luke, für den ich bereit war, meine Schmerzen zu ertragen und zu kämpfen. Er war fort, und ich fühlte mich innerlich so tot und leer wie in den Tagen, nachdem ich meine Eltern verloren hatte.
Mein Leben war freudlos und dunkel, mochte die Sonne draußen auch noch so hell scheinen. Ich empfand unendliche Kälte und Müdigkeit, wickelte mich in meine Decken und verbrachte Stunden damit, nur die Wände anzustarren. Wenn es dunkel wurde, verspürte ich nicht den Wunsch, das Licht anzuknipsen. Manchmal war ich wie erstarrt, und manchmal weinte ich so lange, bis meine Brust schmerzte. Niemals hatte ich mich so einsam gefühlt, nicht einmal während der schrecklichen Stunden, als ich in Farthy eingesperrt gewesen war. Dort hatte ich wenigstens noch meine Phantasien und Träume gehabt…
Jetzt hatte ich auch sie verloren. Es gab keine Phantasien mehr, die meine trübsinnige Stimmung vertreiben konnten.
Noch härter aber traf es mich, daß die Gefühle zwischen Luke und mir auf einmal so schmutzig erschienen. Die Liebe, die uns verband, war etwas Verbotenes, und alles, was in meiner Erinnerung wundervoll und schön gewesen war, schien jetzt schlecht und sündhaft. All das brach mir fast das Herz…
Wie schrecklich war es doch, wenn man nicht nur die Menschen verlor, die man liebte, sondern gleichzeitig die Freuden der Erinnerung an sie! Das Schicksal hatte mein Herz leergeplündert; es hatte alle knospenden Blumen ausgerissen und nur mehr kahle Stengel zurückgelassen.
Viele ehemaligen Freunde meiner Eltern besuchten mich, um mir nachträglich ihr Beileid auszusprechen, da sie mich vorher nicht hatten erreichen können. Ich freute mich über ihre Anteilnahme, aber bei jedem dieser Besuche, erlebte ich die Tragödie aufs neue, wurde schmerzlich an meinen Verlust erinnert.
Einige Freundinnen meiner Mutter brachen in meiner Gegenwart in Tränen aus, und ihre Trauer verletzte mich wie eine scharfe Klinge, ließ Wunden wieder aufbrechen, über denen sich
Weitere Kostenlose Bücher