Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Nacht über Juniper

Titel: Nacht über Juniper Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Glen Cook
Vom Netzwerk:
und schlug eine halbe Meile entfernt auf dem Sund auf. Gischt spritzte auf. Wie ein flacher Stein hüpfte der Teppich wieder hoch, schlug wieder auf, hüpfte noch einmal und zerbarst an einer Klippe. Die magischen Kräfte des Teppichs verpufften in einem violetten Blitz. Und keiner aus der Schar sprach ein Wort. Denn als der Teppich durch die Takelage gerast war, hatten wir das Gesicht des Fliegers erkannt. Der Hauptmann.
Wer weiß, was er vorgehabt hatte? Versuchte er zu uns zu gelangen? Wahrscheinlich. Ich vermute, daß er auf die Mauer gestiegen war, um den Teppich zu sabotieren, damit man uns damit nicht mehr verfolgen konnte. Vielleicht wollte er sich danach von der Mauer stürzen, um dem nachfolgenden Verhör zu entgehen. Und vielleicht hatte er den Teppich häufig genug in Aktion gesehen, daß ihn die Idee gereizt hatte, ihn selbst zu fliegen. Ganz gleich. Es war ihm gelungen. Der Teppich würde nicht mehr für die Jagd auf uns ver- wendet werden. Er selbst würde nicht mehr dem Auge ausgeliefert sein. Aber sein persönliches Ziel hatte er verfehlt. Er war im Norden gestorben. Seine Flucht und sein Sterben lenkten uns ab, während das Schiff weiter durch den Kanal fuhr, bis Juniper und der Nordgrat hinter der Landzunge verschwanden. Das Feuer über der Schwarzen Burg wütete weiter, und seine schrecklichen Flammen löschten die Sterne aus, aber allmählich schrumpfte es zusammen. Die heraufdämmernde Morgenröte raubte ihm sei- ne Leuchtkraft. Und als ein gewaltiges Aufkreischen über die Welt rollte und jemandes Nie- derlage verkündete, konnten wir nicht sagen, wer gewonnen hatte. Für uns war die Antwort auch nicht weiter wichtig. Sowohl die Lady als auch ihr lang be- grabener Gatte würden uns hetzen.
Wir erreichten das offene Meer und wandten uns nach Süden, und die Seeleute fluchten im- mer noch, als sie die Taue ersetzten, die der Flug des Hauptmanns zerfetzt hatte. Wir von der Schar blieben sehr schweigsam, hatten uns über das Deck verstreut, hingen allein unseren Gedanken nach. Und erst dann begann ich mich um die Kameraden zu sorgen, die zurückge- blieben waren.
Zwei Tage später hielten wir eine lange Gedenkfeier ab. Wir trauerten um alle, die zurück- geblieben waren, aber besonders um den Hauptmann. Jeder der Überlebenden hielt ihm zu Ehren eine kurze Ansprache. Er war das Familienoberhaupt gewesen, der Patriarch, uns allen ein Vater.

VIERZIGSTES KAPITEL
Meadenvil: Spurensuche
    Gutes Wetter und günstige Winde brachten uns rasch nach Meadenvil. Den Schiffsherrn freu- te es. Er war schon im voraus für seine Mühen gut bezahlt worden, aber er wollte doch gern eine so übelgelaunte Ladung loswerden. Wir waren nicht gerade die angenehmsten Passagiere gewesen. Einauge hatte Angst vor dem Meer, litt schwer unter Seekrankheit und bestand dar- auf, daß alle anderen ebenso wie er von Angst und Übelkeit heimgesucht wurden. Er und Go- blin ließen sich gegenseitig nicht eine Sekunde lang in Ruhe, bis der Leutnant drohte, sie bei- de den Haien vorzuwerfen. Der Leutnant hatte selbst eine derart miese Laune, daß sie ihn halb und halb beim Wort nahmen.
Im Einklang mit den Wünschen des Hauptmanns wählten wir den Leutnant zu unserem Be- fehlshaber und Candy zu seinem Stellvertreter. Eigentlich hätte dieser Posten Elmo zufallen sollen… Wir nannten den Leutnant nicht Hauptmann. Bei einer derart zusammengeschrumpf- ten Truppe kam uns das sinnlos vor. Wir hatten kaum genug Leute zusammen, um eine an- ständige Straßenbande auf die Beine stellen zu können. Die Letzte der Freien Scharen von Khatovar. Vier Jahrhunderte der Brüderschaft und der Tradition auf das reduziert, was wir jetzt waren. Die großen Taten unserer dahingegangenen Brüder hatten Besseres von ihren Nachfolgern verdient. Die Schatzkiste war verloren, aber die Annalen hatten irgendwie ihren Weg an Bord gefun- den. Vermutlich hatte Schweiger sie mitgebracht. Für ihn waren sie fast so wichtig wie für mich. In der Nacht, bevor wir in den Hafen von Meadenvil einliefen, las ich den Männern aus dem Buch von Woeg vor, worin die Geschichte der Schar nach ihrer Niederlage in den Kämp- fen entlang des Bake in Norssele verzeichnet war. Nur einhundertundvier Männer hatten diese Zeit überstanden, und die Schar war wieder stark geworden. Sie waren noch nicht bereit dafür. Das Leid war noch zu frisch. Mittendrin gab ich es auf. Frisch. Meadenvil war erfrischend. Eine echte Stadt, nicht ein farbloser Haufen wie Juniper. Wir verließen das Schiff

Weitere Kostenlose Bücher