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Nacht über Juniper

Titel: Nacht über Juniper Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Glen Cook
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hat einen Käufer für die Lilie an der Hand. Sie sammeln schon die Mädchen zu- sammen.«
Shed nickte. Um diese Jahreszeit trieben die Hurenmeister verzweifelte Frauen zusammen. Wenn dann der Sommer die Seeleute brachte, waren sie schon bestens eingeritten. »Der Schweinehund. Hat mich glauben lassen, daß er mir Spielraum läßt. Ich hätte es besser wissen sollen. Auf diese Weise bekommt er mein Geld und meine Kneipe.« »Nun, ich habe dich gewarnt.«
»Ja. Danke, Asa.«
Sheds nächster Zahlungstermin kam immer schneller heran. Gilbert verweigerte ihm einen weiteren Kredit. Gläubiger mit kleineren Ansprüchen belagerten die Lilie. Krage verwies sie an Shed.
Er brachte Raven einen Becher auf Kosten des Hauses. »Darf ich mich setzen?« Ein leichtes Lächeln huschte über Ravens Lippen. »Es ist deine Kneipe.« Und dann: »In letzter Zeit bist du nicht sehr freundlich gewesen, Shed.« »Das sind die Nerven«, log Shed. Raven zerrte an seinem Gewissen. »Ich mache mir Sorgen wegen meiner Schulden.«
Raven durchschaute die Ausrede. »Und du dachtest dir, daß ich dir vielleicht helfen könn- te?«
Shed stöhnte fast. »Ja.«
    Raven lachte leise. Shed glaubte, einen triumphierenden Unterton herauszuhören. »Nun gut,
Shed. Heute nacht?«
In Shed stieg ein Bild von seiner Mutter auf, wie sie von den Wächtern davongekarrt wurde. Er schluckte seinen Selbstekel herunter. »Jawoll.« »Nun gut. Aber diesmal bist du ein Handlanger, kein Partner.« Shed schluckte und nickte. »Bring die alte Frau zu Bett, dann komm wieder nach unten. Verstanden?« »Ja«, flüsterte Shed.
»Gut. Jetzt geh. Du machst mich nervös.« »Jawohl, Herr.« Shed zog sich zurück. Den Rest des Tages konnte er niemandem in die Au- gen sehen.
Ein bitterer, mit Schneeflocken gesprenkelter Wind heulte das Porttal herab. Shed kauerte sich in seinem Elend auf dem Wagensitz zusammen, auf dem er hockte wie auf einem Eis- barren. Das Wetter wurde immer schlimmer. »Warum heute nacht?« murrte er. »Ist die beste Zeit.« Ravens Zähne klapperten. »Wenig wahrscheinlich, daß uns jemand sieht.« Er bog in die Kerzenmacherstraße ein, von der aus zahllose enge Gassen abzweigten. »Hier ist ein gutes Jagdgebiet. Bei diesem Wetter verkriechen sie sich in den Gassen und ster- ben wie die Fliegen.«
Shed erschauerte. Er war zu alt für das hier. Aber deshalb war er hier. Damit er dieses Wet- ter nicht jede Nacht ertragen mußte.
Raven hielt den Wagen an. »Schau mal in den Durchgang dort.« Sheds Füße begannen sofort zu schmerzen, als er auftrat. Gut. Wenigstens spürte er etwas. Sie waren nicht erfroren.
Die Gasse war kaum erleuchtet. Er arbeitete sich eher mit dem Tastsinn als mit den Augen voran. Er stieß auf einen Klumpen unter einem Vorsprung. Aber der regte sich und murmelte etwas. Er floh.
Er kam wieder am Wagen an, als Raven gerade etwas auf die Ladefläche warf. Shed wandte den Blick ab. Der Junge konnte nicht älter als zwölf geworden sein. Raven schob Stroh über die Leiche. »Einen haben wir schon. In einer Nacht wie dieser sollten wir den Wagen eigent- lich vollkriegen.«
Shed würgte einen Protest ab und schwang sich wieder auf den Bock. Er dachte an seine Mutter. Eine Nacht wie diese würde sie nie überleben. In der nächsten Gasse fand er seine erste Leiche. Der alte Mann war gestürzt und erfroren, weil er nicht wieder hatte aufstehen können. Unter Seelenqualen zerrte Shed den Körper zum Wagen.
»Wird eine gute Nacht werden«, meinte Raven. »Keine Konkurrenz. Bei diesem Wetter ge- hen die Wächter nicht raus.« Leise fügte er hinzu: »Ich hoffe, wir schaffen es den Hügel hin- auf.«
    Als sie später am Ufer angekommen waren und jeder von ihnen eine weitere Leiche gefun-
den hatte, fragte Shed: »Warum machst du das?« »Ich brauche auch Geld. Hab eine lange Reise vor mir. Auf diese Weise bekomme ich rasch und ohne großes Risiko eine Menge zusammen.« Shed hielt die Risiken für weit größer, als Raven es eingestehen wollte. Man konnte sie da- für in Stücke reißen lassen. »Du stammst nicht aus Juniper, oder?« »Aus dem Süden. Hab Schiffbruch erlitten.« Shed glaubte ihm nicht. Dazu paßte Ravens Akzent nicht, so geringfügig er auch war. Allerdings hatte er auch nicht den Mut, den Mann einen Lügner zu nennen und die Wahrheit zu fordern. Die Unterhaltung kam wieder ins Stocken. Shed erfuhr nichts weiter über Ravens Geschich- te oder seine Beweggründe.
»Geh dort entlang«, befahl Raven. »Ich sehe hier nach. Letzter Gang, Shed.

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