Nacht über Juniper
Partner«, sagte Raven, als er aufsaß. »Vielleicht werden wir das wieder sein. Aber heute nacht bist du ein Hilfsarbeiter. Verstanden?« Etwas Hartes schwang in seiner Stimme mit. Shed nickte, als neue Ängste sich Bahn brachen. Raven trieb den Wagen zurück. Shed empfand eine plötzliche Kälte. Dieser Torweg war so heiß wie die Hölle. Er erschauerte, als er den hungrigen Blick des Wesens auf sich spürte. Dunkler, glasiger, fugenloser Stein zog vorbei. »Mein Gott!« Er konnte die Mauer sehen. Er sah Knochen, Knochensplitter, Leichen, Leichenteile, die in der Nacht zu schweben schienen. Als Raven den Wagen zum Tor wandte, sah er ein Gesicht herausstarren. »Was für ein Ort ist das hier?«
»Ich weiß es nicht, Shed. Ich will es auch nicht wissen. Ich weiß nur, daß sie gutes Geld zah- len. Ich brauche es. Ich habe noch einen weiten Weg vor mir.«
ZWÖLFTES KAPITEL
Das Gräberland
Bei Frost traf der Unterworfene namens Hinker mit der Schar zusammen. Wir waren einhun- dertsechsundvierzig Tage unterwegs gewesen. Diese Tage waren lang, hart und zermürbend gewesen, und Menschen und Tiere hatten sich nur noch aus Gewohnheit weiter bewegt. Eine durchtrainierte Truppe wie die unsere kann, wenn sie es drauf anlegt, fünfzig oder sogar hun- dert Meilen an einem Tag zurücklegen, aber nicht jeden Tag, jede Woche und jeden Monat auf unglaublich miesen Straßen. Ein kluger Anführer macht auf einem langen Marsch keinen Druck. Die Tage summieren sich, und jeder von ihnen läßt einen Rest von Müdigkeit zurück, bis die Männer zusammenbrechen, wenn es zu schnell geht. Wenn man sich die Gegenden ansieht, die wir durchqueren mußten, machten wir einen ver- dammt guten Schnitt. Zwischen Tome und Frost liegen Gebirge, in denen wir Glück hatten, wenn wir fünf Meilen am Tag schafften, Wüsten, in denen wir nach Wasser suchen mußten, Flüsse, deren Überquerung mit zusammengestoppelten Flößen Tage in Anspruch nahm. Wir hatten Glück, daß wir Frost mit nur zwei Mann Verlust erreichten. Der Hauptmann leuchtete förmlich vor Stolz über die Leistung – bis der Militärgouverneur ihn zu sich befahl.
Als er zurückkam, rief er die Offiziere und dienstältesten Unteroffiziere zusammen. »Schlechte Nachrichten«, sagte er zu uns. »Die Lady schickt uns den Hinker, damit er uns über die Schreckenssteppe führt. Uns und eine Karawane, für die wir den Begleitschutz stel- len werden.«
Wir waren wenig begeistert. Zwischen der Schar und dem Hinker gab es böses Blut. Elmo fragte: »Wann brechen wir auf, Sir?« Wir brauchten Ruhe. Natürlich war uns keine ver- sprochen worden, und die Lady sowie die Unterworfenen schienen menschliche Schwächen nicht zu bemerken, aber trotzdem…
»Eine bestimmte Zeit wurde nicht gesagt. Macht nicht schlapp. Jetzt ist er noch nicht hier, aber er könnte schon morgen hier auftauchen.« Genau. Mit ihren fliegenden Teppichen können die Unterworfenen innerhalb von Tagen an jedem Ort der Welt erscheinen. Ich brummte: »Wollen wir hoffen, daß ihn andere Geschäfte noch ein bißchen fernhalten.«
Ich wollte ihm nicht wieder über den Weg laufen. Wir hatten ihm früher häufig übel mitge- spielt. Vor Charm hatten wir eng mit einem Unterworfenen namens Seelenfänger zusam- mengearbeitet. Fänger setzte uns bei etlichen Plänen ein, die Hinker in ein schlechtes Licht setzten, einerseits aus alter Feindschaft, andererseits, weil Fänger heimlich für den Dominator arbeitete. Die Lady ließ sich täuschen. Sie vernichtete den Hinker beinahe, rehabilitierte ihn jedoch statt dessen und brachte ihn für die letzte Schlacht zurück. Vor langer, langer Zeit, als die Unterdrückung ihren Anfang nahm, Jahrhunderte, bevor die Lady ihr Reich begründete, überwältigte der Dominator seine größten Rivalen und zwang sie in seine Dienste. Er versammelte auf diese Weise zehn Schufte, die man bald als die Zehn Unterworfenen kannte. Als die Weiße Rose gegen die Bosheit des Dominators zur Fahne rief,
wurden die Zehn mit ihm begraben. Vernichten konnte sie keinen von ihnen.
Jahrhundertelanger Frieden ließ die Wachsamkeit der Welt erlahmen. Ein neugieriger Zau- berer versuchte, die Lady zu erreichen. Die Lady brachte ihn unter ihren Einfluß und bewirkte ihre Freilassung. Mit ihr erhoben sich die Zehn. Innerhalb einer Generation hatten sie und die Zehn ein neues finsteres Reich erschaffen. Innerhalb von zwei Generationen sahen sie sich in Kämpfen mit den Rebellen verstrickt, deren Propheten einhellig der Meinung
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