Nacht über Juniper
würde, das er nicht bekäme. Sie schnitten ihm die Kehle durch. Ich gehörte zu den Wächtern, die ihn einsammelten. Sie standen drumherum, lachten und rissen Witze. Die Täter.«
»Hast du sie je zahlen lassen?« fragte ich ihn. Ich wußte, wie die Antwort lauten würde. »Ja. Ich habe sie auch in die Katakomben gebracht.« Er sah kurz zur schwarzen Burg auf, die halb von Hochnebel verdeckt war, der über den Hang trieb. »Wenn ich die Gerüchte über den Ort dort oben damals schon gekannt hätte, dann hätte ich vielleicht… nein, hätte ich nicht.«
Das hätte ich auch nicht gedacht. Bullock war in gewisser Weise ein Fanatiker. Er würde niemals die Regeln jenes Berufsstandes brechen, der ihn aus dem Stiefel herausgeholt hatte, außer es wäre zum Besten dieses Standes. »Glaube, wir fangen direkt am Wasser an«, sagte er zu mir. »Arbeiten uns dann den Hügel hinauf. Von Taverne zu Taverne, von Hurenhaus zu Hurenhaus. Vielleicht andeuten, daß eine Belohnung aussteht.« Er preßte seine Fäuste gegeneinander, ein Mann, der seine Wut im Zaum hielt. In ihm hatte sich eine Menge Wut angestaut. Irgendwann würde sie mit gewalti- ger Wucht in die Luft gehen.
Wir hatten früh angefangen. Ich sah mehr Kneipen, Pussyhöhlen und stinkende Absteigen, als ich in einem Dutzend Jahren zu Gesicht bekommen hatte. Und in jeder einzelnen davon erzeugte Bullocks Ankunft plötzliches furchtsames Schweigen und ein Versprechen zur pflichtbewußten Zusammenarbeit.
Aber Versprechen waren auch das einzige, was wir erhielten. Wir konnten keine Spur von altem Geld entdecken, von ein paar Münzen einmal abgesehen, die schon zu lange im Umlauf waren, um etwas mit der von uns gesuchten Beute zu tun zu haben. Bullock zeigte sich nicht entmutigt. »Irgendwas wird sich schon ergeben«, sagte er. »Die Zeiten sind hart. Brauchen nur etwas Geduld.« Er machte ein nachdenkliches Gesicht. »Könn- te eigentlich auch ein paar von deinen Jungens hier einsetzen. Man kennt sie hier nicht, und sie sehen hart genug aus, daß sie gut durchkommen.« »Das sind sie auch.« Ich lächelte und stellte im Geiste eine Gruppe zusammen, die Elmo, Goblin, Pfandleiher, Kingpin und ein paar andere einschloß. Es wäre toll, wenn Raven noch bei der Schar wäre und mit ihnen losziehen könnte. Innerhalb von sechs Monaten hätten sie die Leitung des Stiefels übernommen. Was mich auf eine Idee brachte, die ich an Wisper wei- tergeben wollte.
Wenn wir wissen wollten, was vor sich ging, mußten wir den Stiefel unter unsere Kontrolle bringen. Wir könnten Einauge ins Spiel bringen. Der kleine Zauberer war der geborene Gau- ner. War allerdings auch ein bißchen auffällig. Seit wir das Meer der Qualen überquert hatten, hatte ich noch kein anderes schwarzes Gesicht gesehen. »Ist dir was eingefallen?« fragte Bullock, als er gerade in eine Kneipe namens Eiserne Lilie
gehen wollte. »Siehst so aus, als ob dein Gehirn gerade schwer am Dampfen ist.«
»Vielleicht. Aber das steht noch nicht an. Erst wenn es schwerer wird, als wir erwartet ha- ben.«
Die Eiserne Lilie sah aus wie jedes andere Loch, in dem wir gewesen waren, nur noch schä- biger. Der Kerl, der den Laden schmiß, winselte förmlich. Er wußte rein gar nichts, hatte noch nie etwas gehört und versprach, gellend nach Bullock zu schreien, falls jemand auch nur einen Gersh ausgab, der vor der Thronbesteigung des jetzigen Herzogs geprägt worden war. Jedes Wort war Bockmist. Ich war froh, als wir wieder draußen waren. Ich dachte schon, daß der Schuppen über mir zusammenbrechen würde, bevor er damit fertig war, sich bei Bullock eine braune Nase zu holen.
»Hab’ ‘ne Idee«, sagte Bullock. »Geldverleiher.« Ich brauchte einen Augenblick, bis ich es kapiert hatte und begriff, woher die Idee gekom- men war. Der Typ in der Kneipe, der über seine Schulden gejammert hatte. »Guter Gedanke.« Ein Mann, der sich in den Schlingen eines Geldverleihers verstrickt hatte, würde alles tun, um sich wieder freizuzappeln.
»Hier ist Krages Territorium. Er ist einer der fiesesten. Dann gehen wir ihn mal besuchen.« In dem Mann gab es keine Furcht. Sein Vertrauen in die Kraft seines Amtes war so stark, daß er eine Höhle voller Halsabschneider betrat, ohne mit der Wimper zu zucken. Ich leistete gute Schauspielarbeit, aber ich hatte Angst. Der Schurke hatte seine eigene Truppe, und sie war nervös.
Den Grund dafür fanden wir rasch heraus. Unser Mann war in den letzten Tagen mit jeman- dem zusammengerasselt. Er lag im Bett
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