Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Nacht unter Tag

Nacht unter Tag

Titel: Nacht unter Tag Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Val McDermid
Vom Netzwerk:
sei das vollkommen in Ordnung. Die Kriminalbeamten in der Grafschaft Fife waren grundsätzlich recht nachlässig. Als er aus Glasgow hierhergekommen war, hatte er das schon in den ersten paar Tagen bemerkt. Es erstaunte ihn, dass sie es jemals geschafft hatten, jemanden hinter Gitter zu bringen, bevor er mit seinen analytischen Methoden, durchrationalisierten Ermittlungen, komplizierten Verbindungen zwischen verschiedenen Verbrechen und dem unvermeidlichen Anstieg der Aufklärungsquote kam.
    Was ihn noch mehr fuchste, war die Tatsache, dass sie für die Einführung der modernen Methoden, für die er gesorgt hatte, keine Dankbarkeit zu empfinden schienen. Er hatte sogar den Verdacht, dass sie ihn auslachten. Schon sein Spitzname. Jeder im Polizeigebäude schien einen Spitznamen zu haben, und die meisten konnte man fast als liebevoll auslegen. Aber bei seinem war es nicht so. Er hatte schon früh entdeckt, dass er »die Makrone« genannt wurde, weil er den gleichen Nachnamen wie eine Süßwarenfirma hatte, deren beliebtestes Produkt durch den alten Werbespruch »Lees, Lees, more if you please« allgemein bekannt geworden war. Heute allerdings könnte der fröhliche Rassismus dieses Spruchs mit seiner Anspielung auf Negerbabys Unruhen auf den Straßen provozieren, würde man ihn im einundzwanzigsten Jahrhundert im schottischen Radio senden. Er gab Karen Pirie die Schuld daran. Es war kein Zufall, dass der Spitzname nach seinem ersten Zusammenstoß mit ihr aufgetaucht war. Der war stilbildend für die meisten ihrer Begegnungen gewesen. Er war nicht ganz sicher, wie es dazu gekommen war, aber sie schien ihn immer auf dem falschen Fuß zu erwischen.
    Die Erinnerung daran kränkte Lees noch heute. Er hatte kaum die Füße unter den Tisch gestreckt und angefangen, eine Reihe von Schulungstagen vorzuschlagen, was er dann weiter ausführen wollte. Er nahm nicht die übliche Chefpose ein, noch brachte er eine nervtötende Wiederholung der Einsatzregeln, sondern er präsentierte neue Ansätze für die Probleme moderner Polizeiarbeit. Die erste Gruppe von Beamten war im Schulungsraum versammelt, und Lees hatte mit seiner Vorrede begonnen und erklärt, wie sie im Laufe des Tages Strategien für den Umgang der Polizei mit einer multikulturellen Gesellschaft entwickeln würden. Seine Zuhörer saßen aufmüpfig da, und Karen Pirie hatte den Angriff geführt. »Sir, darf ich etwas sagen?«
    »Natürlich, Detective Inspector Pirie.« Er hatte freundlich gelächelt und seinen Ärger darüber unterdrückt, dass er unterbrochen worden war, bevor er auch nur die Tagesordnung bekanntgegeben hatte.
    »Also, Sir, Fife ist eigentlich nicht das, was man multikulturell nennen würde. Wir haben hier nicht viele Leute, die keine bodenständigen Briten sind. Außer den Italienern und Polen, aber weil die schon so lange hier leben, haben wir vergessen, dass sie nicht von hier sind.«
    »Sie finden also Rassismus in Ordnung, Inspector?« Vielleicht nicht die beste Entgegnung, aber er fühlte sich dazu durch die anscheinend steinzeitliche Haltung herausgefordert, die sie zum Ausdruck brachte. Gar nicht zu reden von ihrem ausdruckslosen Puddinggesicht, das sie immer aufsetzte, wenn sie etwas sagte, das man als aufrührerisch auslegen konnte.
    »Überhaupt nicht, Sir.« Sie lächelte fast mitleidig. »Ich möchte etwas vorschlagen. Da wir beschränkte Mittel für das Schulungsprogramm haben, wäre es vielleicht sinnvoller, sich zuerst mit den Situationen zu beschäftigen, die wir tagtäglich antreffen.«
    »Welche zum Beispiel? Wie fest man draufhauen sollte, wenn man jemanden festnimmt?«
    »Ich dachte mehr an Strategien, wie man mit häuslicher Gewalt umgeht. Sie ist sehr häufig der Grund für Notrufe, und das kann sich sehr leicht noch ausweiten. Jedes Jahr sterben zu viele Leute, weil häusliche Gewalt außer Kontrolle gerät. Und wir wissen nicht immer, wie wir uns verhalten sollen, ohne die Situation zu verschärfen. Ich würde sagen, das ist im Moment meine Priorität Nummer eins, Sir.«
    Und mit dieser kurzen Rede hatte sie ihm den Boden unter den Füßen weggezogen. Es gab kein Zurück für ihn. Er konnte das geplante Training in dem Bewusstsein durchführen, dass alle im Raum ihn auslachten. Oder er konnte es verschieben und ein Programm zusammenstellen, das DI Piries Vorschlag aufnahm, und dabei das Gesicht verlieren. Letzten Endes hatte er ihnen gesagt, sie sollten zur Vorbereitung auf den nächsten Schulungstag den Rest des Tages mit

Weitere Kostenlose Bücher