Nacht unter Tag
Recherchen zum Thema häusliche Gewalt verbringen.
Zwei Tage danach hatte er zufällig mitbekommen, dass über ihn als »die Makrone« gesprochen wurde. O ja, er wusste genau, wer schuld daran war. Aber wie bei allem anderen, das sie tat, um seine Autorität zu untergraben, konnte er ihr nichts Konkretes vorwerfen. Sie würde nur so struppig, stur und undurchschaubar dastehen wie eine Highlands-Kuh und nie etwas tun, über das er sich beklagen konnte. Und sie gab bei den anderen den Ton an, obwohl sie am Rand der Abteilung für ungelöste Fälle gelandet war, wo sie eigentlich nicht in der Lage sein sollte, irgendeinen Einfluss auszuüben. Aber irgendwie gestaltete sich dank Pirie die Überwachung der Mitarbeiter aller drei Abteilungen so schwierig wie das Hüten eines Sacks Flöhe.
Er versuchte ihr aus dem Weg zu gehen und sie durch seine Weisungen für die operativen Abläufe fernzuhalten. Bis heute hatte er geglaubt, dass es funktionierte. Aber dann hatte das Telefon geklingelt. »Assistant Chief Constable Lees«, meldete er sich, nachdem er abgenommen hatte. »Wie kann ich Ihnen helfen?«
»Guten Morgen, ACC Lees. Mein Name ist Susan Charleson. Ich bin die persönliche Assistentin von Sir Broderick Maclennan Grant. Mein Chef würde gern mit Ihnen sprechen. Würde es Ihnen jetzt passen?«
Lees richtete sich auf seinem Stuhl auf und nahm die Schultern zurück. Sir Broderick Grant war für drei Dinge berühmt-berüchtigt: seinen Reichtum, seine menschenfeindliche Zurückgezogenheit und die Entführung und Ermordung seiner Tochter Catriona vor mehr als zwanzig Jahren. So unwahrscheinlich es auch schien, dass seine Sekretärin den Assistant Chief Constable für Kapitaldelikte anrief, es konnte nur bedeuten, dass sich in seinem Fall irgendeine Entwicklung ergeben hatte. »Ja, natürlich. Könnte nicht besser passen.« Er durchforstete sein Gedächtnis nach Details und hörte der Frau am Telefon nur mit halbem Ohr zu. Tochter und Enkel entführt, das war’s. Tochter bei der missglückten Übergabe des Lösegelds umgekommen, Enkel verschwunden. Und jetzt sah es so aus, als würde er derjenige sein, der endlich die Chance bekam, den Fall zu lösen. Er konzentrierte sich wieder auf die Stimme der Frau.
»Bitte einen Moment Geduld, ich stelle Sie jetzt durch«, verkündete sie.
Das hohle Rauschen toter Luft, dann meldete sich eine dunkle, volle Stimme: »Hier Brodie Maclennan Grant. Und Sie sind der Assistant Chief Constable?«
»Richtig, Sir Broderick. ACC Lees. Simon Lees.«
»Kennen Sie den ungelösten Fall, den Mord an meiner Tochter Catriona? Und die Entführung meines Enkelsohns Adam?«
»Natürlich, es gibt ja keinen Polizisten im ganzen Land, der …«
»Wir glauben, dass neues Beweismaterial aufgetaucht ist. Ich wäre Ihnen verbunden, wenn Sie es einrichten könnten, dass Detective Inspector Pirie morgen Vormittag bei mir zu Haus vorbeikommt, um dies mit mir zu besprechen.«
Lees hielt den Hörer tatsächlich ein Stück von seinem Gesicht weg und starrte ihn an. Wollte ihm hier jemand einen Streich spielen? » DI Pirie? Ich verstehe nicht ganz … Ich könnte selbst kommen«, schlug er vor.
»Sie sind ein Theoretiker, ein Schreibtischmensch. Ich kann keinen Theoretiker brauchen.« Brodie Grant klang abweisend. » DI Pirie ist Kriminalistin. Mir hat die Art und Weise gefallen, wie sie diese Sache mit Lawson erledigt hat.«
»Aber … aber es sollte sich doch jemand in höherer Position darum kümmern«, protestierte Lees.
»Leitet DI Pirie nicht Ihre Abteilung zur Bearbeitung ungelöster Fälle?« Grant begann ungeduldig zu klingen. »Das ist mir ranghoch genug. Ich mache mir nichts aus Dienstgraden, mir kommt es auf Effizienz an. Deshalb soll DI Pirie morgen früh um zehn hier in meinem Haus sein. Das wird ihr genug Zeit geben, sich mit den grundlegenden Fakten des Falls vertraut zu machen. Guten Tag, Mr.Lees.« Der Anruf war beendet, und Simon Lees blieb allein zurück mit seinem steigenden Blutdruck und seiner schlechten Laune.
Wie sehr es ihn auch kränken mochte, es blieb ihm nichts anderes übrig, als DI Pirie zu suchen und zu informieren. Zumindest konnte er so tun, als sei es seine Idee gewesen, sie zu schicken. Aber obwohl in dem elektronischen Kalendersystem, das er für seine leitenden Mitarbeiter eingeführt hatte, kein Termin eingetragen war, war sie nicht an ihrem Platz. Es war ja schön, wenn die Leute Eigeninitiative zeigten, aber sie mussten lernen, sich ein- beziehungsweise
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