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Nacht

Nacht

Titel: Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Laymon
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dann?«
    »Was wir wollen.«
    »Also, zuerst will ich meine fünf Riesen«, sagte ich.
    Er grinste. »Und ich will deine Geschichte hören.«
    »Okay.« Obwohl ich lächelte, hatte ich auf einmal ein ganz schlechtes Gefühl – was Murphy offenbar nicht verborgen blieb.
    »Ist was?«, fragte er.
    Natürlich war was.
    Bis jetzt waren wir echt gut miteinander ausgekommen. Ich mochte ihn mehr als jeden anderen Mann, den ich bisher kennengelernt hatte. Sehr viel mehr sogar.
    Vielleicht war ich sogar dabei, mich in ihn zu verlieben.
    Und vielleicht fühlte er etwas Ähnliches wie ich.
    Aber wenn ich ihm meine Geschichte erzählte – die volle Wahrheit –, dann würde das möglicherweise alles kaputt machen.
    Die Wahrheit würde mich in seinen Augen ziemlich schlecht aussehen lassen. Er würde sich vielleicht sogar vor mir ekeln.
    Besonders, wenn er hörte, wie ich Tony mit dem Säbel zerstückelt oder was ich Judy alles angetan hatte.
    Das kann ich ihm auf keinen Fall erzählen!
    Wir sahen uns weiter an.
    Dann fragte Murphy stirnrunzelnd: »Alles in Ordnung mir dir?«
    »Ich habe ein bisschen Kopfweh«, erwiderte ich. »Hast du vielleicht Aspirin oder so was im Haus?«
    »Klar. Ich hol dir was.« Er fuhr mit der Hand meinen Oberschenkel entlang und gab mir einen sanften Klaps, bevor er meine Füße aus seinem Schoß hob und sie wieder aufs Bett legte.
    »Möchtest du Aspirin, Paracetamol oder was Stärkeres?«
    »Du musst ja ganz schön oft Kopfweh haben.«
    »Hin und wieder.«
    »Bringst du mir ein Paracetamol?«
    Er nickte, stieg vom Bett und bückte sich, um seine Badehose aufzuheben.
    »Ziehst du dich an?«
    »Wenn du Kopfweh hast …«
    »Was hat denn das eine mit dem anderen zu tun?«
    »War das denn kein Wink mit dem Zaunpfahl?«, fragte er und machte ein erstauntes Gesicht.

    »So was mache ich nicht. Aber wenn du dich anziehen willst, dann tu’s.«
    »Na ja …« Er zuckte mit den Schultern und lächelte. »Vielleicht sollten wir dir wirklich Zeit geben, dein Kopfweh auszukurieren, bevor wir wieder etwas … äh … Anstrengendes machen.«
    »Wie du meinst.«
    Er schlüpfte in seine Badehose und zog sie hoch, bevor er, ohne sich ein Hemd anzuziehen, das Zimmer verließ.
    Kaum war er draußen, griff ich nach der Tonbandkassette und steckte sie in den Mund. Dann stand ich auf, zog meinen Rock an und ging zur Tür. Dort spuckte ich die Kassette in meine rechte Hand und trat hinaus auf den Flur.
    Murphy war nirgends zu sehen.
    Aus dem Fernseher kam eine Männerstimme, die sich anerkennend über den Mut von Paula Jones ausließ, und aus dem Badezimmer hörte ich das Rauschen eines Wasserhahns.
    Rasch ging ich ins Wohnzimmer, wo meine Handtasche noch immer neben dem Sofa stand.
    Ich öffnete sie, um die Kassette hineinzulegen.
    Und erstarrte.
    In der Tasche waren die Dinge, die ich für gewöhnlich dabeihatte: Lippenstift, eine Puderdose, Papiertaschentücher, ein paar Tampons, meine Sonnenbrille und so weiter.
    Außerdem die beiden Schlüsselbunde: Meiner und der von Judy.
    Und der Block, auf den ich Tonys neue Telefonnummer geschrieben hatte.
    Plus meine Brieftasche.
    Meine Brieftasche!
    Mit meinem Führerschein.
    In dem mein Foto war. Ohne Perücke.
    Und mein wirklicher Name.
    Und meine richtige Adresse.
    »Mein Gott«, murmelte ich.

    Mit zitternder Hand stopfte ich die Kassette tief in die Tasche hinein.
    Mir war übel.
    Hat Murphy in die Handtasche geschaut?
    Die Gelegenheit dazu hätte er gehabt, bevor er zur Bank gefahren war und auch nach seiner Rückkehr.
    Aber hat er sie auch genutzt?
    Vielleicht hatte er ja nur deshalb den Fernseher eingeschaltet, damit ich ihn nicht hörte, wenn er meine Handtasche durchsuchte.
    Andererseits hatte er die Zeit gebraucht, um sich auszuziehen.
    Und war mit den Gedanken vermutlich ganz woanders gewesen.
    Seine Jeans hing über der Lehne am anderen Ende des Sofas, seine Schuhe und Socken lagen auf dem Boden direkt davor.
    »Ach, du bist ja schon aufgestanden«, sagte er.
    Ich drehte mich zu ihm um.
    »Und angezogen auch schon.«
    »Nur halb«, sagte ich.
    Er glotzte auf meine Brüste, hob aber rasch den Blick und sah mir ins Gesicht.
    »Ich dachte, ich hätte noch einen Kaugummi in meiner Handtasche, aber da ist doch keiner mehr.«
    »Ich habe leider auch keinen«, sagte er. »Aber ich könnte dir welchen besorgen, wenn du willst.« Er trat mit einem Glas Wasser in der einen und einem Röhrchen Tabletten in der anderen Hand auf mich zu.
    »Nein, das brauchst du nicht«,

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