Nacht
Getränkedosen beladenen Einkaufswagen über die Straße schob. Normalerweise hätte ich mich vor so einer Gestalt gegruselt.
Aber nicht in dieser Nacht.
Solange sie mich nicht ansah, war mir alles recht, und sie war so auf ihren ratternden Einkaufswagen fixiert, dass sie nicht nach links oder rechts schaute.
Ein paar Straßen weiter erreichte ich die Little Oak Lane. Ich hielt unter einer Straßenlaterne, zog den Zettel aus Tonys Brieftasche und las noch einmal die Adresse.
645 Little Oak Lane, App. 12.
Es war nur einen Block entfernt.
Ein zweistöckiges Appartementhaus aus verputztem Beton mit einer Tiefgarage, deren Einfahrt direkt neben der Haustür lag.
Ich fuhr langsam daran vorbei und schaute die scheußlich hell erleuchtete Rampe hinunter.
Auf einmal machte sich in meinem Inneren ein seltsam zittriges Gefühl breit.
Um Zeit zum Nachdenken zu gewinnen, fuhr ich einmal langsam um den Block. Einerseits war die Tiefgarage ein guter Ort, um Tonys Auto abzustellen, denn er hatte dort sicher einen eigenen Stellplatz, und jemand, der es am Morgen dort sah, würde bestimmt nicht denken, dass Tony mitten in der Nacht weggefahren und umgebracht worden war, andererseits aber könnte jemand in die Garage kommen und mich sehen, wie ich aus dem Auto stieg.
Und dann wäre alles aus.
Wie stehen die Chancen?
Eigentlich nicht schlecht, und in zwei Minuten wäre alles vorbei: Hineinfahren, Tonys Stellplatz finden, aussteigen, das Auto abschließen, die Rampe hinaufrennen.
Okay. Ich riskiere es.
Der Entschluss kam gerade noch rechtzeitig, um in die Tiefgarage abbiegen zu können.
Jetzt geht’s los!
Langsam fuhr ich die steile Einfahrt hinunter. Soweit ich sehen konnte, war kein Mensch in der Tiefgarage, nur geparkte Autos.
Viele Autos. Ob ich überhaupt einen freien Platz finden würde?
Das war aber nicht das eigentliche Problem, denn zwischen den gut zwanzig geparkten Autos fand ich drei leere Stellplätze, die aber nicht mit Zahlen, sondern mit Buchstaben markiert waren.
L, R und W.
Das war das Problem.
Einer der Parkplätze musste für Tonys Auto reserviert sein.
Aber welcher? Er hatte Apartment 12 gemietet, nicht Apartment L, R oder W.
Ich fuhr einmal im Kreis, dann hielt ich an und dachte nach.
Wenn ich Tonys Auto auf einem falschen Parkplatz abstellte, würde das mit Sicherheit Verdacht erregen. Da wäre es schon besser, irgendwo auf der Straße zu parken.
Die Chancen standen zwei zu eins, und das gefiel mir nicht.
Ich brauchte einen Anhaltspunkt und zwar schnell, denn wenn eines der fehlenden Autos kam, war ich geliefert.
Konzentrier dich! Denk nach!
Ob Tony vielleicht den Buchstaben des Parkplatzes irgendwo aufgeschrieben hatte?
Ich sah mir noch einmal den Zettel an.
645 Little Oak Lane, App. 12.
Kein L, kein R, kein W. Nur die Adresse.
Vergiss es! Stell den Wagen einfach irgendwohin und dann nichts wie raus hier!
Nein, warte!
Könnte
vielleicht
ein
Zusammenhang
zwischen
der
Appartementnummer und dem Garagenbuchstaben bestehen?
Ich zählte die ersten zwölf Buchstaben des Alphabets an meinen Fingern ab.
12 war L! Und das L war noch frei!
Fabelhaft!
Ich hatte zwar keine Garantie, dass meine Überlegung stimmte, aber möglich war es zumindest.
Ich fuhr das Auto auf Stellplatz L, schaltete die Scheinwerfer und den Motor aus und steckte die Schlüssel ein. Dann zog ich Tonys Taschentuch aus der Jeans und wischte damit das Lenkrad, den Schaltknüppel, den inneren Türgriff und alle anderen Flächen ab, die ich möglicherweise berührt hatte. Dann stieg ich aus, drückte die Tür so leise wie möglich zu und schloss sie ab, bevor ich das Auto auch außen mit dem Taschentuch abwischte. Das Heck war noch immer nass vom Gartenschlauch. Das kümmerte mich nicht. Es war nur Wasser und würde bald getrocknet sein.
Blutspuren sah ich keine.
Als ich fertig war, steckte ich das Taschentuch wieder ein und eilte zur Ausfahrt, die mir auf einmal kilometerweit entfernt zu sein schien. Dabei lauschte ich die ganze Zeit auf Motorengeräusche oder Schritte, aber meine Schritte auf dem Betonboden waren das Einzige, was ich hörte. Sie hallten von den Wänden und der niedrigen Decke der Tiefgarage wider.
Endlich erreichte ich die Rampe und rannte sie mit weichen Knien nach oben.
Dann war ich draußen!
Geschwind wie der Wind, wer nicht sieht, der ist blind!
Am liebsten hätte ich laut in die Hände geklatscht, aber ich ließ es bleiben. Jemand könnte aus dem Fenster schauen und nachsehen, wer
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