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Nachtauge

Nachtauge

Titel: Nachtauge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Titus Müller
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beantworten können.« Er schloss die Tür.
    »Ich werde mich bei der Kreisleitung über Sie beschweren!«, keifte der Treppenterrier durch die geschlossene Tür. »Die machen Ihnen die Hölle heiß!«
    Schon lange hatte er das tun wollen: dem Blockwart die Tür vor der Nase zuzuknallen. Georg musste lachen. War das ein Genuss! Er dachte: Ich wurde lange genug verschaukelt. Erst hat mir die Partei die Lieblingslektüre verboten. Dann hat sie mich dazu gebracht, wehrlose Frauen zu zwingen, für sie zu arbeiten, und zuzusehen, wie sie erschossen werden. Ich verrate meine Ideale, alles, wofür ich gelebt habe.
    Er hatte genug von der Einschüchterung. Er wollte wieder frei atmen können. Sich im Spiegel anschauen, ohne den nagenden Gedanken daran, was er jeden Tag tat.
    »Schreib deine Beschwerde an die Kreisleitung«, sagte er leise. »Ich bin nicht länger eine Marionette.«
    Nadjeschka fiel ihm ein und ihr Versuch, sich umzubringen. Ich zeige ihr das Leben, dachte er. Ich zeige ihr, dass es nach dem Krieg weitergehen kann.
    Ulrich Wiese ließ die Haustür krachend ins Schloss fallen. Leute wie der Hartmann machten die Volksgemeinschaft kaputt. Sie torpedierten den deutschen Kriegswillen und hielten sich noch für etwas Besseres dabei. Außenseiter waren das, die stolz waren auf ihre Außenseiterrolle. Parasiten, die am deutschen Volk saugten.
    Diesmal war er zu weit gegangen.
    Denk daran, sagte eine feige Stimme in ihm, seine Schwester hat den Rottländer geheiratet, und der ist ein hohes Tier bei der Gestapo.
    Auch ich habe meine Kontakte, trumpfte er innerlich auf, ich hab genauso das eine oder andere Bierchen mit jemandem von der Gestapo getrunken. Der wird mich kennenlernen! Ich weise ihm staatsfeindliche Umtriebe nach, am Ende muss dieser Sauhund Männchen machen, der wird ganz klein angekrochen kommen und um Entschuldigung bitten, und dann schauen wir mal, welcher Laune ich gerade bin.
    Dass Leute wie der Hartmann nicht erkannten, was das Dritte Reich bereits herausgeholt hatte! Vor Hitler hatte Chaos geherrscht, dauernd wechselten die Regierungen, und die Politik kam nicht gegen die Massenarbeitslosigkeit an. Und jetzt, unter dem größten Feldherrn aller Zeiten, wurden Sicherheit und Ordnung garantiert. Es gab wieder einen richtigen Nationalstolz! Die Jugend war von der Straße weg, und man spürte wieder eine Gemeinschaft unter den Leuten. Das hatten die Nationalsozialisten geschafft.
    Für wen hielt der Sauhund sich eigentlich? Der wäre besser Lehrer geblieben, als Lagerleiter taugte er nicht.
    Mit neuem Mut bearbeitete Ulrich das nächste Haus. Er sammelte Fünfmarkscheine, Zehnmarkscheine, sogar noch ein weiterer Zwanziger war heute drin, von einer Kriegerwitwe mit verheulten Augen. Sie wusste, was sie ihrer Volksgemeinschaft schuldig war.
    Als er aus dem Haus trat, sah er den geschniegelten Hartmann am Ende der Straße. Wo ging der hin, an einem Sonntag mit einem Köfferchen? Bei Leuten, die politisch unzuverlässig waren wie der, wusste man nie. Am Ende war eine Bombe darin, mit der er die Bahngleise sabotierte. Oder Falschgeld.
    Ulrich schlich ihm nach. Die Sammelbüchse drückte er Frau Oppmann in die Hand, die er überholte. Sie kam gerade aus der Kirche, in die katholische ging sie, leider nicht nur an Ostern, aber sie war zuverlässig – eine alte Christin stahl kein Geld aus einer Büchse der NSV . »Bewahren Sie das bitte für mich auf, ich komm es heute Abend abholen.«
    Erstaunt sah sie ihn an.
    »Hab’s eilig«, sagte er und ging weiter.
    Dieser Georg Hartmann hatte einen strammen Schritt drauf. Zum Gransauplatz ging er; als er das Schuhhaus Gustav Grüterich passierte, sah er sich um. Ulrich konnte gerade noch hinter einer Litfaßsäule in Deckung gehen. Ein deutlicher Beweis für ein schlechtes Gewissen, wenn einer so herumäugte.
    Wofür hatte der sich rausgeputzt? Den hellen Anzug hatte er vorhin noch nicht getragen. Die schwarzen Schuhe glänzten, sogar die Haare hatte er gekämmt. Aha, er klingelte beim Modegeschäft Krüdewagen!
    Ulrich positionierte sich hinter der Hausecke. Als Frau Krüdewagen öffnete, zog er rasch den Kopf zurück. Sie redeten zu leise, er verstand nichts. Hartmann verschwand mit der Krüdewagen im Haus.
    Der Gransauplatz gehörte nicht zu seinem Abschnitt, da musste er beim Kollegen nachfragen. Ob die verlässlich war? Man konnte mal eine Überprüfung machen, wie genau es bei ihr im Laden mit den Kleidermarken zuging, und ihr bei der Gelegenheit politisch auf

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