Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Nachtblauer Tod

Nachtblauer Tod

Titel: Nachtblauer Tod Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Klaus-Peter Wolf
Vom Netzwerk:
dann hörte er, dass der andere die Räume gar nicht mehr betrat, sondern die Tür nur von außen versiegelte.
    Als sich die Schritte des Mannes auf der Treppe entfernten, zog er die Turnschuhe aus und huschte zum Küchenfenster. Von dort konnte er die Straße beobachten. Die beiden Techniker bestiegen gerade einen VW-Bus, zogen darin die weißen Spezialoveralls aus und fuhren zum Fischessen. Leon rechnete sich aus, dass er zwanzig, höchstens dreißig Minuten Zeit hatte. Die Typen wirkten auf ihn nicht wie Leute, die ein oder zwei Stunden Mittagspause machten, obwohl er eigentlich gar nicht wusste, wie solche Leute aussahen. Er beschloss vorsichtshalber, sich zu beeilen.
    Er nahm seine Sporttasche. Überall in der Wohnung hatte die Spurensicherung deutliche Zeichen hinterlassen. Die glatten, weißen Flächen schimmerten bläulich. Es roch nicht nach Mutters Kräutergarten, auch nicht nach Vaters Fisch. Es war, als sei die Luft zweigeteilt. Oben dominierten Chemikalien. Auf irgendetwas davon reagierte Leon allergisch. Er musste niesen, und seine Augen juckten.
    In Bodennähe, schon ab Kniehöhe, roch es nach getrocknetem Blut. Wenn Leon sich bückte, wurde ihm übel. Wenn er aufrecht stand, schüttelte ihn ein Nieskrampf nach dem anderen. Lange würde er es sowieso nicht hier aushalten.
    Den Inhalt der Sporttasche ließ er einfach auf den Teppich fallen. Er griff sich T-Shirts aus dem Schrank. Boxershorts. Socken. Eine blaue und eine schwarze Jeans. Er nahm auch gleich zwei Paar Schuhe. Seine Adidas und dann die schwarzen Lederschuhe.
    Auf dem Weg hierher hatte er geplant, noch zu duschen und sich umzuziehen. Jetzt verwarf er den Gedanken. Das dauerte alles viel zu lange.
    Er packte Shampoo ein, eine Zahnbürste, seine Lieblingszahnpasta. Dann ging er an die Keksdose seiner Mutter. Sie war mit Pulver verschmiert, und er konnte deutlich sehen, dass so etwas wie ein Pflaster draufgeklebt und wieder abgezogen worden war.
    Er öffnete die Dose und fand hundertzwölf Euro einunddreißig. Er steckte das Geld ein. Dann holte er sein Sparbuch.
    Auf der Kommode bei der Garderobe stand das Bonbonglas, fast randvoll mit Wechselgeld. Leon schüttete das Geld in eine Plastiktüte.
    Eigentlich hätte er jetzt gehen können, aber etwas hielt ihn noch in der Wohnung. Er wollte noch einen Blick in das Zimmer werfen, in dem seine Mutter ermordet worden war. Er hatte Angst davor, ja, der Ekel würgte ihn, aber er konnte nicht anders.
    Vor der Tür raste sein Herz. Er schloss kurz die Augen, um sich zu konzentrieren. Eine Stimme in seinem Kopf sagte ihm: Keine Angst. Deine Mutter liegt nicht mehr dort. Die haben sie längst weggebracht. Aber ein ganzer Chor in ihm brüllte diese Stimme nieder: Tu es nicht, Leon! Nicht! Hau einfach ab, das ist besser für dich!
    Er gab dem Chor nach und floh aus der Wohnung. Dabei zerriss er das Siegel, das der Kriminaltechniker an die Tür geklebt hatte. Leon bemerkte es nicht einmal. Er stürmte mit der Sporttasche die Treppe hinunter und rannte den Postboten fast um, als er auf die Straße sprang.
    »Nicht so eilig, junger Mann! Wir sind doch hier nicht auf der Flucht!«
    Hast du eine Ahnung, du blöder Sprücheklopfer, dachte Leon und rannte ziellos weiter.

13
    Kommissar Büscher trat so behutsam auf, als hätte er Angst, bei einem unbedachten Schritt in seinem eigenen Büro durch den morschen Fußboden nach unten zu krachen und eine Etage tiefer auf der Empfangstheke der Schutzpolizei zu landen. Er tat das sehr bewusst, nicht weil er befürchtete, der Boden könnte unter ihm nachgeben, sondern weil seine Kollegin Schiller behauptet hatte, er würde, wenn er wütend sei, immer mit den Füßen aufstampfen wie ein trotziges Kind.
    Die beiden Kriminaltechniker standen mit gesenkten Blicken da. Manfred Schütz war studierter Chemiker, der dann die Polizeilaufbahn eingeschlagen hatte. Sein Kollege Uwe Prinz war ein Biologe, Spezialgebiet Maden und Fliegen an Leichenteilen. Sie hielten Büscher für einen cholerischen Idioten. Büscher wusste das, und er wollte ihnen nicht die geringste Chance geben, ihn im vorliegenden Fall als dumm und aufbrausend einzustufen.
    »Also, noch einmal ganz langsam«, sagte er betont sachlich. »Ihr …«, er schluckte das Wort »Pappnasen« hinunter. »Ihr zwei habt die Wohnung vier Stunden lang kriminaltechnisch auf Spuren hin untersucht und dabei nicht gemerkt, dass sich noch jemand in der Wohnung aufhielt?«
    »So würde ich das nicht sagen«, verteidigte Manni sich.

Weitere Kostenlose Bücher