Nachtchimäre - Fragmente der Dunkelheit (German Edition)
sich etwas einfallen lassen will.“ Alex und ich sehen uns kurz an. „Nichts als Gerede, wenn Sie mich fragen.“
„ Sicherlich“, gebe ich nachdenklich zurück.
„ Er hat sich da wohl in eine Sache hineingesteigert. Nehmen Sie ihm das nicht übel ... Er hatte eine schwere Kindheit.“ Ach, er hatte eine schwere Kindheit? Na das ist ja mal interessant.
„ Hören Sie“, beginne ich. „Es ist mir wirklich absolut egal, was mit ihm geschehen ist oder wie sein Leben verlief. Er hat kein Recht mich für etwas verantwortlich zu machen, was ich nicht zu verantworten habe.“
Heinrich nickt betroffen.
„ Wenn Sie uns also jetzt entschuldigen würden.“
Entschlossen lasse ich beide stehen, kralle mich in Alex’ Arm und schleife ihn beinahe hinter mir her auf die großen Türen zu. Bevor er noch etwas sagen kann, haben wir das Foyer des Restaurants erreicht und sehen uns einem freundlichen Empfangschef gegenüber.
„ Guten Abend, Madam, Sir.“ Er lässt sich unsere Einladungskarte geben und zeichnet etwas auf einem Klemmbrett ab.
„ Du willst mir nicht zufällig erzählen, was das gerade war, oder?“, raunt Alex mir leise zu und ich gebe noch viel leiser ein „Später“ zurück.
„ Muss ich mir Sorgen machen?“
„ Ich weiß es nicht genau.“
Er ist nicht zufrieden mit mir. „Ich werde nicht von deiner Seite weichen.“
„ Das kommt mir sehr gelegen.“ Ein kleines Lächeln auf den Lippen drücke ich seine Hand und er erwidert es. Für den Moment ist der Frieden zwischen uns wieder hergestellt.
Ich hätte auch wenig Lust gehabt ihm diese Geschichte in aller Öffentlichkeit zu erklären. Außerdem muss ich zu meinem Leidwesen gestehen, dass ich sie über die letzten Ereignisse einfach völlig vergessen habe. Eine Kurzfassung hätte aber wohl in etwa so geklungen:
Ach, weißt du, das ist mein irrer Halbbruder, der kurz davor ist, mein Geheimnis zu erraten und mich zu erkennen. Aber mach dir keine Sorgen, er ist harmlos, solange man ihn nicht alleine auf einem schneeverzierten Sonnendeck mit dünner Bekleidung antrifft.
Wie klingt das denn? Völlig bescheuert, oder? Andererseits finde ich keine andere Bezeichnung für diesen Teil der Situation. Um mich abzulenken sehe ich mich im Saal um und entdecke tatsächlich noch mehr Vertraute. Collin sitzt mit Jessica und ihrer Mutter an einem Tisch und hält Händchen mit der Jüngeren. Er himmelt sie geradezu an und Jessicas Puppengesicht ist erhitzt. Sie scheint der absoluten Sicherheit erlegen, dass Collin sie groß ins Showbusiness einführen wird. Aber wir brauchen ja alle unsere Illusionen und als Z-Promi kann ich sie mir vielleicht sogar vorstellen.
Während wir warten und ich mich weiter im Saal umsehe, breitet sich ein einvernehmliches Schweigen zwischen uns aus. Und das, obwohl das kleine Quartett Streicher nun beinahe in unmittelbarer Nähe vor sich hin fiedelt. Wie kann man das nur den ganzen Abend aushalten? Ich bin wirklich erleichtert, als der Empfangschef endlich einen Kellner herbeiwinkt, welcher uns zu unserem Tisch bringen soll.
Das Restaurant gleicht einem brummenden Bienenstock. Überall stehen oder sitzen die Menschen in kleinen Gruppen zusammen und führen mehr oder weniger tiefgehende Gespräche. Dazwischen sind unauffällig dienstbare Geister verstreut, welche Tische anweisen, Getränkebestellungen aufnehmen oder einfach nur die Übersicht behalten.
Die schwarzen Smokings der Herren und die in allen möglichen und unmöglichen Regenbogenfarben gekleideten Damen stellen einen schönen Kontrast zu den blütenweiß gestärkten Tischtüchern, dem hell cremefarbenen Geschirr mit Goldrand, den polierten Gläsern und dem blinkenden Besteck dar. Auch die Blumenarrangements auf den Tischen sind in dezenten Farben gehalten, aber geschmackvoll gestaltet.
Mir sind sowohl der Geräuschpegel als auch das emotionale Chaos in diesem Raum zu groß, so dass ich meine geistigen Abwehrmechanismen noch höher ziehe, was beides auf ein angenehm dumpfes Summen im Hintergrund reduziert. Leider bemerke ich dadurch erst recht spät, dass wir genau auf den großen, runden Haupttisch des Restaurants zusteuern. Na, das fehlt mir ja gerade noch – mitten auf den Präsentierteller!
Schnell stelle ich fest, dass an dem Tisch genau zehn Personen Platz finden und auch schon drei Paare anwesend sind. Gesehen, oder sagen wir lieber registriert, habe ich noch keines davon. Zeitgleich mit uns erreicht ein älterer Mann in weißer Galauniform den Tisch
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