Nachte des Sturms
Ruhe nachzudenken, was sich ihrer Meinung nach nicht allzu sehr vom Beten unterschied.
Es galt für sie, Entscheidungen zu treffen. Und sie wollte den angerichteten Schaden noch irgendwie begrenzen, sogar möglichst schnell. Risse wurden immer größer, wenn man sich nicht umgehend um sie kümmerte. Ließ man sie lange genug unbeachtet, wurden sie zu Brüchen und bereiteten einem teuflische Probleme.
Ihr Verhältnis zu Mary Kate hatte gelitten, es war eine Kluft entstanden, die die auf ihrer Verwandtschaft und ihrer gegenseitigen Liebe basierende bisher innige Beziehung vielleicht auf Dauer unterlief, wenn sie sie nicht schnell überbrückte. Sie trug zumindest eine Mitschuld am Entstehen dieses Grabens, der, wenn sie nichts dagegen unternahm, vielleicht sogar ihre ganze Familie spalten würde. Und die Art, wie sie den Graben überwand, würde entscheiden, ob das Familienglück wieder so strahlend wie in der Vergangenheit oder getrübt sein würde.
Dasselbe galt für Shawn. Die Grundlage ihrer Beziehung waren lebenslange gegenseitige Zuneigung, gemeinsame
Erinnerungen und ehrliche Freundschaft. Sie würde nicht einfach dastehen und mit ansehen, wie all dies zu Staub zerfiel.
Sie musste sich entscheiden, wo und wie sie mit der Schadensbegrenzung am besten begann. Sie allein konnte die nötigen Schritte unternehmen, und am besten fing sie umgehend damit an.
Ein paar Minuten vor Ende der Messe glitt sie lautlos durch die Tür. Auf diese Weise konnte niemand mit ihr plaudern, ihr den neuesten Tratsch erzählen oder fragen, wie es der Familie ging. Auf dem Weg nach Hause war sie etwas nervös, doch zumindest hatte sie einen Entschluss gefasst.
»Da bist du ja.« Mollie hatte sich für den Kirchgang angezogen und kam, als Brenna auf den Hof fuhr, gerade aus der Tür. »Ich habe dich vorhin aus dem Haus gehen gehört.«
»Ich war in der Kirche.«
»Nun, wir anderen sind gerade auf dem Weg dorthin.«
»Mary Kate wird etwas später kommen.« Brenna ging entschlossen durch die Haustür und die Treppe in Richtung der Schlafzimmer hinauf. »Sie kann meinen Laster nehmen.«
»Brenna, ich will am Tag des Herrn keinen Streit in meinem Haus.«
»Den wird es auch nicht geben«, versprach ihr die Tochter. Wenn ein Kampf wirklich unumgänglich wäre, fände er an anderer Stelle statt.
Gerade, als sie oben ankam, kam ihr Vater durch die Tür des Schlafzimmers. Sein Gesicht war rot und glänzend von der frischen Rasur, und die Zinken seines Kammes hatten in seinen Haaren Spuren hinterlassen wie Furchen in einem frisch gepflügten Feld. Vor lauter Liebe zu ihm brach ihr beinahe das Herz.
»Dad.«
Er war etwas verlegen und überzeugt davon, dass es sicher noch eine Weile dauern würde, bis es zwischen ihnen beiden wieder so sein würde wie zuvor. Trotzdem war der Anblick ihrer tränenfeuchten Augen mehr, als er ertrug. »Deine Mutter versammelt uns gerade alle für die Messe.«
»Ich war schon in der Kirche.«
»Tja dann.« Er trat von einem Fuß auf den anderen. »Ich war heute ebenfalls schon recht früh auf den Beinen. O’Learys Hintertreppe ist, wie wir schon seit Jahren vorausgesehen haben, tatsächlich vollends eingebrochen. Und natürlich stand er gerade drauf, was er dafür, dass er sie einfach hat verrotten lassen, allerdings verdient hat. Er möchte, dass wir sie so schnell wie möglich wieder aufbauen.«
Sie wusste, dass problemlos einer von ihnen diese Arbeit hätte alleine machen können. Dass er ihr trotzdem eine Zusammenarbeit vorschlug, half, dass sich die größte Wunde in ihrem Herzen schloss. »Ich stehe sofort zur Verfügung. Dad –«
»Mick, wenn wir nicht zu spät zur Messe kommen wollen, solltest du allmählich einen Gang zulegen«, rief Mollie von unten herauf.
»Morgen ist auch noch ein Tag«, war alles, was Mick sagte, doch als er sich zum Gehen wandte, berührte er seine älteste Tochter sanft am Arm.
Sie atmete tief ein. »Aber manche Dinge muss man sofort erledigen«, murmelte sie und öffnete die Tür zum Zimmer ihrer jüngsten Schwester.
Alice Mae saß mit blank geputzten Schuhen und schimmernd gebürsteten Haaren geduldig auf der Kante ihres Bettes, während Katie vor dem Spiegel ihre Wimpern
tuschte. Ihre Augen waren vom Weinen immer noch etwas verquollen, aber die Lippen bildeten, als sie Brenna bemerkte, einen schmalen, harten Strich.
»Alice, Schätzchen, Ma hat dich gerufen. Am besten gehst du runter.«
Mary Kate fuhr sich noch einmal mit den Händen durch das Haar. »Warte,
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