Nachtfalter
festgeschraubt ist.
»Hilf mir mal, das Regal ein Stück zur Seite zu rücken«, sage ich zu Dermitzakis. Wenn Koustas ein Versteck für seine geheimen Unterlagen angelegt hat, dann kann es nur hinter dem Weinregal liegen.
»Dann fallen die Flaschen runter«, bemerkt Dermitzakis.
»Auch egal. Der, der sie hierher geschafft hat, braucht sie nicht mehr, und sein Sohn tut gut daran, das Trinken aufzugeben.«
Wir packen das Weinregal an beiden Enden und versuchen, es von der Wand wegzurücken. Es ist tonnenschwer und läßt sich nicht von der Stelle bewegen. Wir schaffen es gerade mal, es ein wenig nach vorne zu neigen. Die Wand dahinter schimmert grünlich vor Feuchtigkeit, hier und da wächst Schimmelpilz. Weder ein Tresor noch ein anderes Versteck tritt zutage.
Ich blicke mich noch mal um, um mich abschließend zu versichern, daß Koustas an keiner anderen Stelle seine Geschäftsbücher versteckt haben konnte. »Gehen wir«, meine ich zu Dermitzakis. »Hier ist nichts zu holen. Der Keller war unsere einzige Hoffnung. Wir werden natürlich auch die Schlafzimmer durchsuchen, doch davon verspreche ich mir nicht viel.«
Im ersten Stock der Villa sieht es aus wie im Erdgeschoß. Ein Schweinestall – Makis’ Zimmer – und zwei weitere, säuberlich in Ordnung gebrachte Schlafräume. Wir stehen in Koustas’ Schlafzimmer, durchwühlen die Schubladen und heben gerade die Matratzen hoch, wie Cops in einem Hollywoodfilm, die ja die gesamte Polizeizunft durch ihr stümperhaftes Vorgehen in Verruf gebracht haben, als sich Dermitzakis’ Beeper meldet.
»Ein Anruf von der Dienststelle«, sagt er und eilt in Makis’ Zimmer, wo ein Telefon steht.
Ich setze meine Suche grund- und ergebnislos fort, bis Dermitzakis’ Stimme von nebenan ertönt.
»Es ist Vlassopoulos, Herr Kommissar. Er möchte Sie sprechen.«
Ich fühle mich fast erleichtert, daß sich eine Gelegenheit bietet, alles liegen- und stehenzulassen. »Herr Kommissar, soeben hat mich Antonopoulos angerufen. Die Kousta ist in diesem Augenblick in einem Apartment in Kypseli. Antonopoulos steht davor und fragt, was er unternehmen soll.«
»Er soll dort bleiben und auf mich warten. Gib mir die Adresse durch.«
»Prinopoulou-Straße 4, zweite Etage.«
»Machen wir uns auf den Weg«, sage ich zu Dermitzakis, sobald ich auflege. »Hier finden wir ohnehin nichts.«
»Wohin fahren wir?«
»Ins Liebesnest der Kousta, in die Prinopoulou-Straße 4 in Kypseli.«
Als wir am Wohnzimmer vorbeikommen, sitzt Makis immer noch auf seinem Platz und starrt mit gläsernem Blick die gegenüberliegende Wand an. Falls er mitbekommen hat, daß wir uns verabschieden, läßt er sich jedenfalls nichts anmerken.
42
A uf der Rückfahrt nimmt Dermitzakis die Sirene in Betrieb. Sie zerreißt mir zwar fast das Trommelfell, doch ich nehme es in Kauf, weil ich die Kousta so schnell wie möglich abfangen will. Mit Unterstützung der Sirene brauchen wir nur eine Dreiviertelstunde bis zur Prinopoulou-Straße, doch wir bleiben am Anfang der Straße stecken, weil sich vor der Hausnummer 6, dem Gebäude neben dem Apartment, zwei Streifenwagen, zwei Krankenwagen und ein Haufen Gaffer drängeln. Antonopoulos ist nicht, wie vereinbart, auf seinem Posten vor Nummer 4. Ich entdecke ihn neben den beiden Streifenwagen, als er gerade versucht, auf Zehenspitzen einen Blick auf das Geschehen zu erhaschen. Aus der Menge erhebt sich das Gezeter einer dicken Vierzigjährigen. Ihre fetten Arme recken sich mit geballten Fäusten zum Himmel und donnern dann mit aller Wucht auf ihren Kopf herab. Zwei Sanitäter treten mit einer durch ein Leintuch bedeckten Krankenbahre aus der Eingangstür. Die Frau gibt einen weiteren Aufschrei von sich und will sich auf die Bahre stürzen, doch zwei Polizeibeamte kommen ihr zuvor und halten sie zurück.
Als Antonopoulos bemerkt, daß ich an der Eingangstür der Nummer 4 stehe, verläßt er das Schauspiel und kommt sofort auf mich zu.
»Was ist hier los?« frage ich.
»Eine russisch-griechische Familie aus dem Schwarzmeergebiet. Am hellichten Tag hat man sie niedergemetzelt. Allesamt – Vater, Großmutter und zwei Kinder. Vermutlich die Russenmafia, der Mann war in Drogengeschäfte verwickelt. Die Frau war in den Supermarkt einkaufen gegangen und dadurch entkommen. Jetzt rauft sie sich die Haare.«
»Und warum hast du deinen Posten verlassen?« frage ich ihn, nachdem er seinen Bericht abgeliefert hat. »Hatten sie nicht genug Leute? Mußtest du ihnen zu Hilfe
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