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Nachtfalter

Nachtfalter

Titel: Nachtfalter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petros Markaris
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durch den Statuenfriedhof, steigt drei Stufen hoch und befindet sich vor dem Hauseingang. Eine Asiatin von der Sorte, die den Griechen seit neuestem die Bohnen in der Suppe durch Sojawürfel ersetzt, führt uns von dort in ein stockdunkles Wohnzimmer und zieht die Rolläden ein wenig hoch, so daß wir immerhin unsere Umrisse erkennen können. Das Tageslicht fällt durch den Spalt herein und bildet auf dem Boden eine Trennlinie zwischen mir und Dermitzakis.
    Der Fußboden ist aus Marmor und mit Teppichen belegt – nicht überall, sondern sparsam und an ausgewählten Stellen: unter der Sitzgarnitur mit dem dunkelblauen Sofa und den Sesseln, unter dem runden Tisch mit den vier Stühlen und unter den beiden hölzernen Armstühlen mit den hohen Lehnen, auf die stilmäßig glatt König Arthur und Ivanhoe passen würden, nur daß zwischen ihnen ein Telefontischchen steht. Ich gehe auf das Fenster zu, blicke durch den Spalt, den die Asiatin geöffnet hat, und staune: Im Schutze einer Art mittelalterlicher Befestigungsmauer erstreckt sich hinter dem Haus eine riesige Rasenfläche mit Blumenbeeten, Palmen und einem Swimmingpool.
    Das Miauen einer Katze läßt mich aufhorchen, und ich wende mich um. Sie kommt mit gravitätischen Schritten auf mich zu, und wenn ich nicht ihre Augen hätte aufblitzen sehen, so würde sie sich kaum vom Marmorfußboden abheben, so schneeweiß ist sie. Sie ähnelt mehr einem Schaf als einer Katze, als hätte sie eine Hormontherapie hinter sich. Sie bleibt vor uns stehen und miaut weiter vor sich hin, offensichtlich genervt durch unsere Anwesenheit.
    »Brav, Mitsi«, höre ich eine Frauenstimme sagen.
    Ich schaue auf. In der Tür steht eine etwa fünfzigjährige Frau mit der Figur einer Dreißigjährigen. Sie trägt eine schwarze Bluse und eine weiße, enganliegende Leinenhose. Ihr noch immer sehr schönes Gesicht kommt mir bekannt vor, und ich zerbreche mir den Kopf, wo ich sie gesehen haben könnte.
    Sie lächelt mir zu, ohne mir die Hand zu reichen. »Ich bin Elena Kousta, Herr Kommissar.«
    »Charitos. Das hier ist Kriminalobermeister Dermitzakis.«
    »Entschuldigen Sie, daß ich Sie habe warten lassen, ich hatte nicht mit Ihnen gerechnet.«
    Sie bittet uns herein, und wir setzen uns. Die Katze legt sich ihr zu Füßen und blickt ihr reglos in die Augen. Die Kousta streckt die Hand aus und streichelt sie. Ich versuche krampfhaft dahinterzukommen, woher ich sie kenne.
    Sie merkt es und bricht in Lachen aus.
    »Sie versuchen sich daran zu erinnern, wo Sie mich schon gesehen haben? Da sind Sie nicht der einzige. Allen sagt mein Gesicht etwas, doch sie wissen nicht mehr, woher. Gehen Sie gern ins Varieté, Herr Kommissar?«
    Ich will gerade nein sagen und daß ich nur ins Kino gehe, doch mit einem Schlag erinnere ich mich. Als ich ganz frisch ins Polizeikorps eingetreten war, wurde ich der Leibgarde eines Ministers der Militärregierung zugeteilt. Und der liebte das Varieté. Aus der Zeit kannte ich sie. Damals hieß sie nicht Kousta, sondern Fragaki. Sie trug ein schwarzes, glitzerndes Abendkleid mit tief ausgeschnittenem Dekolleté, in dem ihre Brüste halb nackt auf dem Präsentierteller lagen, und mit einem weit nach oben reichenden Schlitz, der ihre Beine wie ein sich öffnender Theatervorhang zur Geltung brachte. Beides stellte sie offenherzig zur Schau, und das Publikum johlte. »Was für ein Weib! Was für ein Weib!« murmelte der Minister voller Bewunderung. Leider war sie keine Kommunistin, deshalb konnte er sie nicht in eine Zelle sperren und sein Mütchen an ihr kühlen.
    »Sie sind Elena Fragaki«, sage ich.
    Sie freut sich, daß ich sie erkannt habe, und lächelt geschmeichelt. »Wissen Sie, vor fünfzehn Jahren habe ich das Singen an den Nagel gehängt. Bei meiner Heirat. Deshalb bin ich stolz, wenn sich jemand an mich erinnert. Das ist ein kleiner Trost«, fügt sie mit einer gewissen Bitterkeit hinzu.
    Die Erinnerung hemmt mich, und ich weiß nicht, wie ich anfangen soll. Ihr erfahrenes Auge erfaßt meine Verlegenheit, und sie entschließt sich, mir unter die Arme zu greifen. »Wenn Sie gekommen sind, um mir Fragen zu stellen, kann ich Ihnen sagen, daß ich Ihren Kollegen von der Antiterrorabteilung bereits alles gesagt habe. Sie können meine Aussage nachlesen.«
    »Macht es Ihnen etwas aus, uns alles nochmals zu erzählen? Ich würde es gerne aus Ihrem eigenen Mund hören.«
    »Wenn Sie es nochmals hören wollen, bitte sehr. Außerdem ist es so wenig, daß ich kaum länger als

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