Nachtfalter
einen Teppich in schreienden Farben eingeheimst, der im Wohnzimmer liegt, ein elektronisches Notizbuch, mit dem sie nichts anzufangen weiß, weil es nur auf englisch funktioniert, und ein Kochbuch, das sie auf den Müll geworfen hat, weil es versuchte, ihr Hähnchen mit Orangensoße schmackhaft zu machen. Dann kam noch eine Reihe kostbarer Gläser dazu – das einzige Präsent, das die Mühe lohnte.
Gestern abend hatte ich ihr versprochen, wegen meiner Schulterschmerzen einen Termin bei meinem Kassenarzt zu vereinbaren. Aber im Büro hatte ich mich mit vollen Kräften auf den Fall mit der unbekannten Leiche gestürzt, und dann war mir Koustas in den Schoß gefallen. Ich hatte den Termin völlig vergessen.
»Ich habe angerufen, aber es war besetzt«, entgegne ich und bereite meinen geordneten Rückzug aus der Küche vor, ehe sie zu nörgeln beginnt.
»Und warum hast du es nicht noch mal probiert?« fragt sie schnippisch.
»Ich habe mich in die Arbeit gestürzt und gar nicht mehr daran gedacht. Schließlich geht’s mir prima, mein Rücken tut mir gar nicht mehr weh.« Ich hatte wirklich seit Tagen keine Beschwerden mehr. Und wenn sich Schmerzen ruhig verhalten, dann soll man sie nicht aufstören, das ist eine Faustregel.
»Und wenn es Spondylarthritis ist und du für den Rest deines Lebens bucklig daherläufst, dann reden wir weiter. Vielleicht ist es sogar etwas viel Schlimmeres als Spondylarthritis … Was ist, wenn es die Bandscheiben sind? Erinnerst du dich an Manthos, den Sohn meiner Freundin Anna? Der sitzt mit fünfunddreißig im Rollstuhl.«
»Hör auf, mir das alles anzudichten!« rufe ich aus. »Mir fehlt nichts, nur ein paar kleine Beschwerden, aber wenn du so weitermachst und Krankheiten heraufbeschwörst, wache ich noch mit Knochenkrebs auf!«
»Was auch immer dir zustößt, dein verdammter Dickschädel ist daran schuld!« Sie verläßt die Küche, während ich die Schere packe und die Zeitungscoupons auszuschneiden beginne, um meine Nerven zu beruhigen.
Seit unserer Heirat lebt Adriani in der ständigen Angst, ich könnte von einer plötzlichen Krankheit dahingerafft werden. In den ersten Ehejahren legte sie ihr Ohr lauschend an mein Herz, während ich schlief, oder sie hielt ihr Gesicht dicht an meinen offenen Mund, um sicherzugehen, daß ich noch atmete. Anfänglich fühlte ich mich von ihren Ängsten geschmeichelt, wenn sie etwa meine behaarte Brust streichelte oder mir gefüllte Tomaten, meine Lieblingsspeise, vorsetzte. Nach fünf Jahren begann mir das Streicheln ein unwiderstehliches Kitzeln zu verursachen, nach zehn Jahren rief ihr Kopf auf meiner Brust ein Gefühl der Bedrückung hervor, und nach fünfzehn Jahren begannen mir diese gefüllten Tomaten schwer im Magen zu liegen. Da sich jedoch in glücklichen Ehen die Gegensätze anziehen, zittert Adriani vor Krankheiten und ich vor Ärzten. Sie rennt beim erstbesten Wehwehchen zur Untersuchung, während ich selbst bei ernsten Beschwerden lieber sage: Was soll’s, lieber nicht nachbohren, es wird schon von allein wieder weggehen. Bislang bin ich damit nicht schlecht gefahren.
Das Ausschneiden der Coupons geht mir schließlich auf den Senkel, und ich lasse es bleiben. Als ich am Wohnzimmer vorbeigehe, sehe ich Adriani auf ihrem altbekannten Platz vor dem Fernseher sitzen, mit der Fernbedienung wie einer natürlichen Verlängerung ihres Armes in der Hand, um umgehend den Sender zu wechseln, sobald der Werbeblock über die Zuschauer hereinbricht. Sie verfolgt die Sendung mit dem Fünfunddreißigjährigen, die sie schon auf der Fähre gesehen hatte. Der Showmaster trägt heute ein granatfarbenes Sakko, ein grünes Hemd und eine braune Hose. Er sitzt in einem Sessel, hält beide Hände vor den Mund und lauscht gebannt einer Frauenstimme, die übers Telefon zu ihm spricht. Ihm gegenüber sitzt ein Ehepaar, sie um die Vierzig, er fünfundvierzig, beide billig herausgeputzt.
»Was guckst du denn da?« frage ich Adriani.
»Eine Reality Show«, entgegnet sie, ohne ihren Blick von der Mattscheibe zu lösen.
Das sagt mir genausowenig wie Canantré, das sich im Laufe der Ermittlungen als Canard Doré entpuppte. Vielleicht spricht Adriani ja etwas falsch aus.
»Und was ist das?« frage ich sie, um mich nach allen Seiten abzusichern.
»Eine Reality Show?« wiederholt sie ärgerlich. »Sag mal, wo lebst du eigentlich? Das ist der letzte Schrei unter den Fernsehsendungen. Die spüren Mißstände auf und bringen sie ans Licht. Mit anderen Worten: Die
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