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Nachtfalter

Nachtfalter

Titel: Nachtfalter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petros Markaris
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nehmen euch die Arbeit ab.«
    »Keine Sorge, wenn die wirklich über Informationen verfügten, dann kämen sie zuerst zu uns und gingen danach auf Sendung, um uns wie die Rohrspatzen zu beschimpfen, weil wir angeblich untätig herumsitzen.«
    »Ist es vielleicht gelogen, daß ihr nichts zustande bringt? Überall gibt es nur mehr private Wachdienste und Alarmanlagen, weil ihr eure Arbeit nicht richtig macht. Wer ruft heutzutage noch einen Polizisten, wenn er sich bedroht fühlt? Niemand.«
    Mit ihren Worten ruft sie mir Koustas’ Bodyguard ins Gedächtnis. Ich könnte explodieren, doch ich gebe klein bei. Ich gehe ins Schlafzimmer und hole mir vom obersten Brett des Bücherregals den ersten Band des Lexikons von Liddell-Scott. Wenn ich mich abends entspannen will, lege ich mich aufs Bett und schlage ein Wörterbuch auf. Adrianis Nörgelei, die alltäglichen Ärgernisse auf der Dienststelle, sogar die Mordfälle schwinden mir aus dem Sinn. Für mich allein zu sein macht mich glücklich. Auf den Liddell-Scott bin ich besonders stolz. Er ist vierbändig, eine Ausgabe von 1907 und ein Geschenk meiner Patentante, der Tochter eines angesehenen Rechtsanwalts. Als ich auf die Welt kam, hatte mein Vater alles darangesetzt, einen Politiker als Taufpaten an Land zu ziehen. Aber er selbst war nur Unteroffizier bei der Gendarmerie, und es gelang ihm nicht, einen Politiker für sich zu gewinnen. So mußte er sich mit der Tochter eines renommierten Juristen begnügen, die, da sie unverheiratet war, wenigstens ein Patenkind haben wollte. Jedes Jahr zu Weihnachten schenkte sie mir eine Hose und zu Ostern ein Paar Schuhe und eine Osterkerze. Wenn die Hose kurz darauf zerschlissen war, so trug ich sie bis Weihnachten mit Flicken. Wenn sich die Sohle von den Schuhen löste, lief ich bis zu den nächsten Ostern barfuß. In beiden Fällen wurde ich kräftig vermöbelt einmal von meiner Mutter und in der Folge von meinem Vater. Den Liddell-Scott überreichte sie mir, als ich in die Polizeischule eintrat. Dort brauchte ich ihn zwar nie, doch von diesem Zeitpunkt an war ich mit dem Virus der Wörterbücher infiziert.
    Ich schlage beim Buchstaben A nach und suche nach dem Wort Arthritis.
    Arthritis = Gelenkentzündung; Arthritiker = an Arthritis Leidender, Gichtkranker. Von griech. arthron = Gelenk, in Wortzusammensetzungen: Gelenk…, Glied(er)… Von Hippokrates in seinen Sinnsprüchen als »flammendes Elend« bezeichnet.
    Jedenfalls sind meine Gelenke nicht von flammendem Elend befallen, denke ich, sie tun nur hin und wieder ein wenig weh. Schließlich war auch Hippokrates Arzt und malte alles in den düstersten Farben, damit bei ihm die Kasse klingelte.
    »Katerina ist am Apparat. Willst du mit ihr sprechen?« ruft Adriani zu mir herein.
    Sie weiß genau, daß ich zum Telefon stürme, sobald meine Tochter dran ist, doch sie will testen, ob meine Leidenschaft für Wörterbücher mich sogar dazu treiben könnte, ein Telefongespräch mit meiner Tochter auszuschlagen.
    Ich gehe an ihr vorüber, ohne sie eines Blickes zu würdigen, gelange ins Wohnzimmer und halte den Hörer ans Ohr.
    »Grüß dich, mein Schatz. Was gibt’s Neues?«
    Sie lacht. »Ich stecke bis zum Hals in Gesetzestexten. Du weißt ja, ich sammle Stoff für meine Doktorarbeit.«
    »Die wichtigsten Dinge im Leben sind auch immer die schwierigsten«, sage ich, als könnte sie von mir noch etwas lernen, wo sie es doch – mein ganzer Stolz! – bis zum Doktorat gebracht hat.
    »Sag mal, bist du beim Arzt gewesen?«
    Es folgt eine kurze Pause, denn ich muß mich beherrschen, um nicht aus der Haut zu fahren. »Warum sollte ich zum Arzt gehen?« frage ich sanft, ohne den Ton meiner Stimme zu heben.
    »Wo doch dein Rücken weh tut.«
    Ich blicke mich um. Adriani ist wie vom Erdboden verschluckt. Sie hat ihrer Tochter alles eingeflüstert und ist dann von der Bildfläche verschwunden, um dem Donnerwetter aus dem Wege zu gehen.
    »Nicht der Rede wert, mach dir keine Gedanken.«
    »Es beunruhigt mich, wenn dir etwas fehlt und du nicht zum Arzt gehst. Also gehst du jetzt, oder willst du, daß ich weiter in Sorge bin?«
    »In Ordnung, ich gehe.«
    »Ich ruf dich morgen an, um zu sehen, ob du einen Termin vereinbart hast. Ich bitte dich, leg es nicht darauf an, daß ich meine Doktorarbeit liegenlasse und Hals über Kopf nach Athen komme.«
    »Wie geht es Panos?« frage ich und signalisiere damit, daß es jetzt reicht.
    »Gut, er läßt dich schön grüßen«, antwortet sie kurz angebunden

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