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Nachtfalter

Nachtfalter

Titel: Nachtfalter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petros Markaris
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was weiß ich?« sage ich aufgebracht, als sei er schuld daran, daß meine Theorie sich nicht als hieb- und stichfest erweist. »Wie sah denn der Mörder aus?«
    »Mittelgroß, eher groß gewachsen, mit einem weißen T-Shirts, Jeans und dunkler Sonnenbrille.«
    »Haben Sie sein Gesicht erkennen können?«
    »Nein, es war zu dunkel. Nur seine Haare. Die waren weiß.«
    »Davon haben Sie aber in Ihrer Aussage, auf die Sie mich verwiesen haben, nichts verlauten lassen.«
    »Ich hatte es eben vergessen.«
    Kann sein. Möglich, daß er es für sich behielt, um sich dann daran zu erinnern, wenn die Million fällig wurde. »Er war also etwas älter?«
    »Also noch einmal: Es war finster, und ich konnte sein Gesicht nicht erkennen. Nur sein weißes Haar.«
    Das heißt nicht unbedingt älter. Auch Dreißigjährige haben schon weiße Haare. »Nun zum Mittäter: Um welche Uhrzeit ist er mit dem Motorrad aufgetaucht?«
    Er denkt nach. »Kann ich nicht genau sagen. Motorräder und Mopeds brausen hier ständig vorüber. Er ist mir aufgefallen, weil er dort die ganze Zeit stand und mit laufendem Motor wartete. Aber auch das kommt immer wieder vor. Da das Lokal bekannt ist, treffen sich manche hier, und so dachte ich, daß er wohl auf jemand wartet.«
    »Wie lange stand er da?«
    »Ich schätze, drei bis vier Minuten.«
    Auch der Komplize war also pünktlich auf seinem Posten gewesen. Er mußte gewußt haben, zu welchem Zeitpunkt Koustas herauskommen würde. Andernfalls hätte er entweder schon früher seine Warteposition eingenommen oder ein paar Runden gedreht, um keine Aufmerksamkeit zu erregen.
    »Wie sah er denn aus?«
    Er zuckt mit den Schultern. »Er trug einen Sturzhelm und eine Lederjacke. An die Hose kann ich mich nicht erinnern.«
    Ein schwerer Seufzer entringt sich seiner Brust – vielleicht ist er von den vielen Fragen erschöpft, oder er meint, er hätte das Schlimmste bereits überstanden. Doch da hat er sich geirrt.
    »Was hätten Sie den Fernsehfritzen denn über Rotlichtbarone erzählt?« frage ich ihn noch einmal mit strenger Miene.
    »Daß die ihn umgelegt haben, was sonst?«
    »Woher wollen Sie das wissen?«
    »Na kommen Sie schon. Das war ein Auftragsmord. Das springt doch ins Auge.«
    Seine Schlußfolgerung paßt tadellos zur Ansicht der Antiterrorabteilung.
    »Wie konnten sie wissen, daß er allein herauskommen würde?«
    Er lacht schallend. »Wenn er mit Charis und Vlassis hergekommen wäre, hätten sie alle drei erledigt. Die haben bloß Schwein gehabt.«
    Möglicherweise hat er recht. Profikiller arbeiten stets mit dem Überraschungseffekt. Bevor die Leibgarde die Pistole ziehen kann, geht sie schon vereint mit dem Opfer in die ewigen Jagdgründe ein. Ich lasse Mantas stehen und trete in das Nachtlokal.
    Einen Augenblick lang wähne ich mich im Haus meiner Schwägerin auf der Insel, nur daß hier anstelle der bordeauxroten Sitzgarnitur eine bordeauxrote Tapete über dem Sperrholz prunkt. Bordeauxrot mit goldenen Rauten. Die Tischchen drängeln sich halbmondförmig um den Rand der Tanzfläche und reichen bis zum Eingang. Es sind erst wenige Besucher anwesend, nur zwei bis drei Tische vorn an der Tanzfläche sind besetzt. Rechts befindet sich ein Ausschank mit Barhockern. Das Gedröhn des Orchesters dringt aus vier riesigen Lautsprechern, und der Baß erinnert mich an den Kanonendonner anläßlich des Nationalfeiertages am 25. März. Auf der Tanzfläche hält eine Vierzigjährige, die ein schwarzes Kleid mit offenherzigem Ausschnitt trägt, das Mikrofon dicht an ihren Mund, als lecke sie an einer Rieseneistüte, und singt
     
    Es gibt kein Glück,
    Ist man zu dritt.
    Für dich, mein Schatz,
    gibt’s keinen Platz.
     
    Mit ihrer Liebesaffäre habe ich nichts am Hut, und mein Blick fällt auf Koustas’ athletische Schlägertypen, die an der Bar stehen und an ihren Getränken nippen.
    »Kommissar Charitos«, sage ich, bevor auch sie eine Million fordern, um auszupacken. »Was hat Koustas am Abend des Mordes zu Ihnen gesagt, als er hinausging?«
    Ihre Blicke hängen an der Vierzigjährigen, die sich weiterhin leidenschaftlich an ihr Mikrofon klammert. »Daß er etwas aus seinem Wagen holen wollte und dann wiederkäme«, meint der eine.
    »Wir wollten mitkommen, doch er sagte, wir könnten uns die Mühe sparen.« Jetzt hat sich der andere mir zugewendet.
    Ich weiß nicht, welcher von beiden Charis und welcher Vlassis ist, aber das ist nicht von Belang. Ausschlaggebend ist, daß sich ein so vorsichtiger Mensch,

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