Nachtfalter
ein Staatsanwalt verhandelt mit ihnen, damit sie den Platz räumen, wir drehen Däumchen, und sie beschimpfen uns wie die Rohrspatzen.«
Ich kann nirgends die mit Schlagstöcken und Schilden bewehrte Sondereinheit der Polizei erkennen. Sollte sie hierher beordert worden sein, wird sie vermutlich den Platz umstellt haben. Bei Jorgos Papandreous Begräbnis hatte man uns an der Ecke Mitropoleos- und Filellinon-Straße zusammengezogen. Damals war ich ein einfacher Streifenpolizist, ich sah das Menschenmeer hinter dem Sarg herzogen und richtete ein Stoßgebet zum Himmel, man möge keine Auflösung des Zuges anordnen. Denn beim Anblick dieser erregten Menge wußte nur Gott allein, wer dabei draufgezahlt hätte. Doch die hatten die Hosen genauso gestrichen voll wie wir selbst. Heutzutage gibt es anstelle der Menschenmeere die Müllmänner. Sie beschimpfen uns, und wir pfeifen drauf. Angst haben wir nur noch vor den Mikroben der Müllberge.
Das Mobiltelefon des Fahrers bringt mich wieder auf den Boden der Tatsachen zurück, und ich kann nicht anders, als den Erfindungsreichtum der Handyhersteller zu bewundern, die ein solch nervtötendes Geräusch entwickelt haben – laut genug, um einen Toten zu wecken. Der Fahrer führt sein Handy an das eine Ohr, hält sich das andere zu und beginnt hineinzubrüllen. »Nur weil der Minister uns empfangen will, sollen wir gleich den Platz räumen? Zuerst soll er unseren Forderungen zustimmen, und dann ziehen wir ab, so war es abgemacht!« Er läßt das Telefon sinken, reißt die Wagentür auf und beginnt in die Menge zu krakeelen: »Ihr verdammten Verräter! Ihr Strauchdiebe! Wieviel haben sie euch zugesteckt, damit ihr den Schwanz einzieht, he? Wieviel habt ihr eingesackt?« Er packt wieder sein Handy. »Ich fahr jetzt zum Streikbüro und schlag die Bude kurz und klein! Da bleibt kein Auge trocken!« brüllt er.
Und als wolle er demonstrieren, daß man ihn beim Wort nehmen müsse, legt er den Rückwärtsgang ein und rammt den hinter ihm stehenden Müllwagen. »Holla, immer mit der Ruhe, Kollege!« schreit ihm sein Hintermann zu. »Wenn du mir meinen Wagen zu Schrott fährst, kann ich einpacken!«
Unser PKW glüht in der Hitze, mein Kopf schmerzt zum Zerspringen, und ich merke, wie mein Schweiß allmählich nach Abfall riecht. Neben mir zieht Vlassopoulos ein Taschentuch heraus und wischt sein Gesicht ab. Im nebenan wartenden Müllwagen hat der Fahrer seine Ellbogen auf das Lenkrad sowie das Kinn in die Handflächen gestützt und läßt seine Blicke über das Hotel Grande-Bretagne gleiten. Nicht gerade motiviert, der Kerl.
Noch eine Viertelstunde vergeht, und die Müllwagen beginnen sich, wie von einer sanften Brise getrieben, langsam in Bewegung zu setzen. Nach einer Viertelstunde kommen auch wir endlich ins Rollen und nähern uns dem Platz. Als wir in die Navarchou-Nikodimou-Straße einbiegen, blicke ich auf meine Uhr. Es ist zwei Uhr mittags. Wir haben geschlagene drei Stunden vertan, seit wir vom Präsidium auf dem Alexandras-Boulevard aufgebrochen sind.
Die Büros der R. I. Hellas befinden sich in einem dreistöckigen Altbau. Durch die Eingangstür aus Nußholz tritt man in einen Raum mit ruhiger und angenehmer Atmosphäre. Hier gibt es weder bordeauxrote Tapeten noch moderne Stahlinstallationen noch Wachpersonal. Die Wände sind bis zur Hälfte mit Holz verkleidet und zeigen Landschaftsbilder griechischer Inseln. Die junge Empfangsdame paßt zur Ausstattung. Sie ist einfach gekleidet, ungeschminkt, und das einzige moderne Gerät auf ihrem Schreibtisch ist der Computer.
»Bitte sehr, was kann ich für Sie tun?« fragt sie zuvorkommend.
Ich stelle mich und Vlassopoulos vor und erkläre, daß wir Niki Kousta sprechen wollen.
Sie hebt den Hörer ab, verständigt sich kurz mit der jungen Kousta und schickt uns dann in die zweite Etage, Den Fahrstuhl hat man hier nachträglich eingebaut, und wir beide passen nur rein, wenn wir unsere Bäuche einziehen.
Als wir aus dem Fahrstuhl treten, erstreckt sich vor uns ein riesiger Raum, der wie ein altertümlicher Ballsaal wirkt. Links führt eine breite Holztreppe jeweils in die obere und untere Etage. Den Ballsaal hat man durch Trennwände aus Preßspan in sechs Teile zerstückelt und an jeder Seite drei kleine Kammern eingerichtet, die einen Schreibtisch, einen Stuhl und eine Sitzgelegenheit für Besucher ohne Bauchansatz enthalten. In den Kämmerchen sitzen zwei männliche und vier weibliche Mitarbeiter vor Computerbildschirmen.
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