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Nachtfalter

Nachtfalter

Titel: Nachtfalter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petros Markaris
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Soll ich aus der Haut fahren, weil Adriani hinter meinem Rücken mein Leben einfach in die Hand nimmt, oder soll ich sprachlos vor Bewunderung sein über ihre Gabe, alle – selbst die Krankenhausärzte – auf ihre Seite zu bringen und ihrer Kopf immer und überall durchzusetzen?
    »Ich bitte Sie, bringen Sie mich nicht in Verlegenheit! weil ich Ihnen das anvertraut habe.« Ousounidis’ Stimme klingt flehend. »Abgesehen davon glaube ich, daß Sie sich diese zwei zusätzlichen Tage hier besser erholen können als zu Hause.«
    Unter uns gesagt, versetzt mich die Aussicht, Adriani mit ihren ständigen Kommentaren vor der Nase zu haben, nicht in Begeisterung. »Schon gut, aber wenn Sie mich am Samstag nicht entlassen, dann gehe ich auf eigene Faust.«
    »Nicht nötig, Sie werden bestimmt entlassen«, sagt er und klopft mir freundschaftlich auf die Schulter.
    Dieses freundschaftliche Schulterklopfen beginnt mir langsam auf den Keks zu gehen. Normalerweise bin ich es, der den Häftlingen freundschaftlich auf die Schulter klopft, wenn sie gesungen haben.
    Er verläßt das Zimmer, und ich stürze mich mit Feuereifer in meine Überlegungen. Angenommen, Vlassopoulos braucht den heutigen Tag dafür, Petroulias’ Adresse ausfindig zu machen. Dann kann er morgen seine Wohnung inspizieren, mit den Nachbarn und den anderen Hausbewohnern reden, so daß er am Freitag mit der Fronarbeit fertig ist und ich die Fortsetzung übernehmen kann.
    Das Telefon läutet in dem Augenblick, als ich mit Katerina das Hippokrates-Lexikon durchblättere. Ich sitze in Pyjama und Pantoffeln, Katerina dicht an meiner Seite, auf dem Bettrand und zeige ihr verschiedene eigentümliche Verben wie umzangen, korrodieren oder zerschroten.
    Ich hebe den Hörer ab. »Wer da?« sage ich kurz angebunden, denn ich vermute, daß Adriani am anderen Ende ist, und ich möchte sie eine gewisse unterschwellige Gereiztheit spüren lassen, obgleich ich dem Arzt mein Wort gegeben habe, mich zurückzuhalten. Es ist jedoch nicht Adriani, sondern Vlassopoulos.
    »Ich habe Petroulias’ Adresse rausgekriegt, Herr Kommissar. Er wohnte in der Panga-Straße 19, in Nea Filothei.«
    »Sehr schön. Nimm die Wohnung unter die Lupe.«
    »Von dort rufe ich Sie gerade an. Das heißt, nicht direkt aus seiner Wohnung, sondern von einer Nachbarin. Sein Telefon ist gesperrt. Herr Kommissar –« Er setzt schwungvoll an, verstummt aber wieder.
    »Was gibt’s? Spuck’s aus.«
    »Wir haben es hier mit einem Dachgeschoß von hundertzwanzig Quadratmetern plus Terrasse von nochmals dreißig Quadratmetern zu tun. Und er muß ein Vermögen für die Einrichtung ausgegeben haben. Nur, daß sie ihm die Bude auf den Kopf gestellt haben.«
    »Wie bitte?«
    »Es wurde eingebrochen und alles in der Wohnung kurz und klein geschlagen. Die haben irgend etwas gesucht, aber ich habe keine Ahnung, was und ob sie fündig wurden.«
    Mir bleibt die Spucke weg. Ein Schiedsrichter der dritten Liga mit einer todschick eingerichteten Dachgeschoßwohnung von hundertfünfzig Quadratmetern … Vielleicht sollte ich im Canard Doré nachfragen, ob man ihn dort kennt. Wahrscheinlich pflegte er dort diese rohen Filets zu speisen, die man auch mir zum Fraß vorgeworfen hat. Katerina hat das Wörterbuch sinken lassen und beobachtet mich neugierig und ein wenig besorgt.
    »Schön. Laß die Spurensicherung vorläufig noch nicht ran. Versiegle die Tür, ich will die Wohnung in dem Zustand sehen, in dem sie sich jetzt befindet. Und bring in Erfahrung, bei welchem Finanzamt Petroulias gemeldet war. Ich hätte gerne eine Abschrift seines letzten Steuerbescheids.«
    Ich lege den Hörer auf die Gabel und wende mich wieder Katerina zu, die mich mißtrauisch beäugt. »Katerina, Mädelchen«, sage ich schmeichelnd, »ich muß heute aus dem Krankenhaus raus. Ich muß dringend etwas erledigen.«
    »Du bist nicht bei Trost.« Mehr bringt sie nicht über die Lippen. »Du weißt, was es geschlagen hat, wenn Mama dahinterkommt.«
    »Nein, aber ich weiß, was deine liebe Mama mit den Ärzten ausgehandelt hat. Ich habe Ousounidis festgenagelt, und er hat gestanden. Ich habe ihm versprochen, deiner Mutter gegenüber nichts verlauten zu lassen, aber mit dir kann man ja reden.«
    Ich merke, wie sie ihren Blick abwendet, und begreife, daß sie mit ihrer Mutter unter einer Decke steckt oder zumindest eingeweiht ist.
    »Du hast es gewußt, was?« frage ich beleidigt. »Du hast es gewußt und mir nichts davon gesagt!«
    »Was hätte ich dir denn

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