Nachtfalter
mit weißem Haar und blauen, noch immer lebhaft leuchtenden Augen.
»Es geht sicherlich um Herrn Petroulias«, sagt sie ohne Umschweife.
»Ganz genau. Ich möchte Ihnen ein paar Fragen stellen.«
»Aber sicher. Kommen Sie herein.« Und sie tritt zur Seite, um mich einzulassen.
Im Gegensatz zu Petroulias’ Apartment ist ihre Wohnung voll von alten Familienerbstücken. Keine Handbreit blieb ungenützt, doch alles ist geschmackvoll arrangiert, und die Wohnung strahlt eine freundliche Wärme aus. Sie führt mich ins Wohnzimmer, und ich bemerke, daß auf ihrer Veranda kein Waldimitat steht, sondern daß diese – so wie früher alle Athener Veranden – nur mit Blumen bepflanzt ist und eine Markise anstelle der Sonnenschirme aufweist.
»Darf ich Ihnen etwas anbieten?« fragt sie zuvorkommend.
»Nein, besten Dank. Wann haben Sie von Petroulias’ Tod erfahren?«
»Gestern abend in der Nachrichtensendung um Mitternacht. Ich war einen Monat lang bei meiner Tochter und ihrem Mann in London zu Besuch gewesen. Ich bin gestern erst zurückgekommen. Vor dem Schlafengehen wollte ich mir noch schnell das Nachtjournal ansehen, und da habe ich es gehört. Wie tragisch, mein Gott!«
»Kannten Sie ihn gut?«
»So gut, wie man eben seine Nachbarn in einer Wohnhausanlage kennt. Ein kurzer Gruß, ein paar Worte über das Wetter … Sie wissen schon … Er war ein höflicher Mensch. Immer wenn er mich mit vollen Einkaufstaschen vom Supermarkt kommen sah, nahm er sie mir sofort aus der Hand.« Sie lächelt, und ihre lebhaften Augen blitzen belustigt auf. »Das ist freilich nicht immer ein gutes Zeichen, denn es ruft einem in Erinnerung, daß man nicht mehr zu den Jüngsten zählt. Doch an der höflichen Geste ändert das nichts.«
Sie zählt zu den Menschen, die einen sofort für sich gewinnen. Und sie ist auch nicht schwatzhaft, sie sagt nur das unbedingt Notwendige und schweigt sonst. Die ideale Zeugin.
»Haben Sie vielleicht zufällig andere Leute ein und aus gehen sehen?«
»Nein. Einmal hat er mir erzählt, er sei ein Einzelkind und seine Eltern seien bei einem Autounfall ums Leben gekommen. Nein, ich habe niemanden gesehen. Außer –«
»Außer?«
»Außer der jungen Frau, die in den letzten Monaten mit ihm zusammen war.«
»Können Sie sich erinnern, wie sie aussah?«
Sie schweigt und versucht, sich ihr Bild zu vergegenwärtigen. »Blond, jünger als er … Mit langem Haar … Sehr höflich und immer mit einem Lächeln auf den Lippen.«
Die Blonde! sage ich zu mir selbst. Verflucht noch mal, wie soll ich je herauskriegen, wer das sein soll!
»Wissen Sie vielleicht, wie sie hieß?«
»Nein, er hat sie mir nicht vorgestellt. Um die Wahrheit zu sagen, das erschien mir nicht sehr höflich, aber die jungen Leute von heute legen auf Umgangsformen ja keinen Wert mehr.«
»Wann haben Sie ihn zum letzten Mal gesehen?«
Sie denkt wiederum nach. »Das muß Anfang Juni gewesen sein. Wir fuhren zusammen im Fahrstuhl hinunter, und er fragte mich, wohin ich in die Ferien fahren würde. Ich meinte, ich würde nie im Sommer wegfahren, da mir der Rummel zuwider sei. Er sagte, daß er am nächsten Tag zu einer Inselkreuzfahrt aufbrechen wollte.«
Am liebsten würde ich aufspringen und mir alle Haare einzeln ausreißen. Wie konnte ich so blöd sein! Ich graste die ganze Zeit die rooms to let und die Hotels ab, während die beiden mit einer Jacht oder einem Segelboot auf die Insel gekommen waren. Wenn das Segelboot ihm gehörte, dann lagen die Dinge einfach, und wir würden es über die Schiffsregister aufspüren. Wenn es jedoch gemietet war, dann konnte ich nur beten, daß es auf seinen Namen und nicht auf den der Blonden eingetragen war.
»Wissen Sie, welchem Beruf er nachging?«
»Irgend etwas mit Fußball, wenn ich mich nicht irre.«
»Ich meine eine andere Tätigkeit als die des Schiedsrichters.«
»Nicht daß ich wüßte. Aber ich glaube, er ging keiner anderen Arbeit nach.«
»Warum glauben Sie das?«
Sie blickt mich an und kann ihre Verlegenheit nicht verbergen. Wie alle Damen der alten Schule stört sie sich daran, indiskret zu sein, aber zu guter Letzt entschließt sie sich doch dazu. »Weil ein Mensch, der um zwölf oder ein Uhr mittags außer Haus geht, keiner geregelten Arbeit nachgehen kann, Herr Kommissar. Außer er arbeitet in der Spätschicht einer Fabrik oder er ist Kellner. Doch Herr Petroulias sah mir weder nach dem einen noch nach dem anderen aus.«
Woher hatte er dann das Geld für ein solches
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