Nachtfalter
wer ist es?«
Vlassopoulos blickt mich an und grinst immer noch. »Ich habe ihn schon vernommen, aber ich dachte, Sie werden die Informationen bestimmt aus erster Hand kriegen wollen. Ich weiß nicht, ob es Ihnen recht ist. Er ist draußen und wartet.«
»Herein mit ihm, spann mich nicht auf die Folter!«
Er erhebt sich und geht aus dem Zimmer. Kurz darauf kehrt er mit einem kräftig gebauten, mittelgroßen und unrasierten jungen Mann zurück. An ihm ist nichts Auffälliges – außer seinen X-Beinen: Seine Füße sehen aus wie zwei einander zugewendete halbe Wassermelonen. In der Hand hält er eine Plastiktüte.
»Guten Morgen«, sagt er schüchtern. »Der Herr Kriminalobermeister hat mir gesagt, daß Sie im Krankenhaus sind, und da habe ich Ihnen ein paar Orangen mitgebracht.«
»Ein paar« ist untertrieben, denn er hat mindestens drei Kilo in der Tüte.
»Oh, vielen Dank, das war doch nicht nötig.«
»Vitamine bauen auf, das weiß ich aus eigener Erfahrung«, sagt er, als müsse er sich für die nette Geste rechtfertigen.
»Wie heißen Sie?«
»Sarafoglou … Kyriakos Sarafoglou …«
»Und Sie kennen die Person auf dem Fahndungsfoto?«
»Ja.« Er sucht nach Worten. »Sehen Sie, ich bin Fußballer. Ich spiele bei Falirikos in der dritten Liga. Daher kenne ich ihn. Er war Schiedsrichter in den Pokalspielen der dritten Liga. Er heißt Christos Petroulias.«
»Und weshalb haben Sie das der Polizei nicht schon früher gesagt? Haben Sie ihn gestern zum ersten Mal im Fernsehen gesehen?«
»Nein, ich hatte sein Foto vor einigen Tagen schon mal gesehen, aber beschwören konnte ich nicht, daß er es auch wirklich war. Wissen Sie, in dem Zustand auf dem Foto …« Er möchte ihn beschreiben, findet aber nicht die passenden Worte, er ist ja schließlich Fußballspieler. »Er sah ihm ähnlich, aber ich war mir nicht ganz sicher. Und die anderen Jungs sagten das gleiche: Er sehe ihm zwar ähnlich, aber das könne Zufall sein. Wissen Sie, es kommt einem nicht leicht über die Lippen, jemanden für tot zu erklären, davor scheut man einfach zurück. Und wenn am nächsten Tag rauskommt, daß er noch am Leben ist? Möglich, daß er mir dann eine Anzeige anhängt. Aber gestern, als ich ihn nochmals sah, da hatte ich keine Zweifel mehr. Er ist es.«
»Wann haben Sie ihn zum letzten Mal gesehen?«
Er antwortet nicht sofort. Er denkt nach. »Im Spiel gegen Triton, Mitte Mai. Ich erinnere mich gut daran, denn es ging für Triton in diesem Spiel um die Meisterschaft, und Petroulias pfiff in der letzten Minute einen Elfmeter gegen Triton. Dabei gab es gar keinen Grund dafür. Jedenfalls haben sie deshalb das Spiel verloren, und der Meistertitel ging flöten.«
»Und seit damals haben Sie ihn nicht wieder gesehen.«
»Genau, aber er muß auch bei anderen Spielen als Schiedsrichter fungiert haben, denn sein Name war bis zum Ende der Meisterschaft im Gespräch.«
»Wissen Sie, ob er noch einer anderen Arbeit nachgegangen ist?«
»Muß er wohl. Die Schiedsrichter sind üblicherweise Amateure, und alle Schiedsrichter haben einen Brotberuf.«
»Wo wohnte er denn? Wissen Sie das? Kennen Sie seine Adresse?«
»Nein, aber er war Mitglied des Athener Schiedsrichterverbandes. Dort können Sie die herausbekommen.«
Vlassopoulos zieht sein Notizheft heraus, wo er alles – von seinen beruflichen Aufzeichnungen bis zu seinen privaten Einkäufen – aufschreibt, und kritzelt etwas hinein.
»Sagen Sie mal, Kyriakos«, sage ich zu Sarafoglou. »Wissen Sie, ob Petroulias Feinde hatte?«
Er bricht in Gelächter aus. »Zeigen Sie mir mal einen Schiedsrichter, der keine Feinde hat, Herr Kommissar. Wenn man in Griechenland ein Spiel verliert, meinen alle, die Welt bricht zusammen. Und alle sind schuld: die Vereinsfunktionäre, die Spieler, der Trainer. In erster Linie aber der Schiedsrichter, der sich von der siegreichen Mannschaft hat kaufen lassen.«
»Wieso sagen Sie das? Hat sich Petroulias kaufen lassen?« fragt Vlassopoulos.
Und Sarafoglou, der soeben noch ganz entspannt plauderte, beginnt sich plötzlich zu winden. Er setzt zu einer Antwort an, bereut seinen Vorstoß und zuckt mit den Schultern. »Jeder gibt da seinen Senf dazu. Nach fast jedem Spiel kommt einer daher und behauptet, der Schiedsrichter hätte sich kaufen lassen. In den meisten Fällen ist es erlogen, manchmal ist aber was Wahres dran. Wie soll man da durchblicken!«
Selbst wenn er etwas Konkretes wissen sollte, wird er nicht damit herausrücken. Er verdient
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