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Nachtflügel

Nachtflügel

Titel: Nachtflügel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kenneth Oppel
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sie aufbrechen. Die Diatrymas würden schlafen, die dunklen Körper der Chiropter wären gut getarnt, und obwohl sie kaum etwas sehen könnten, würde Dämmer sie mit seiner Echosicht leiten.
    Dämmer war klar, dass er eigentlich jagen müsste, um Kraft für die bevorstehende Unternehmung zu sammeln, doch er hatte keinen Appetit. Mit jeder Minute, die verging, belasteten ihn immer mehr sorgenvolle Gedanken. Er wollte jetzt einfach nur noch losziehen. Bei Sonnenuntergang kühlte sich die Erde ab und Nebel überzog das Grasland. Der Vollmond schien hell in dieser Nacht, was ihr Unternehmen erleichtern würde, doch er würde auch jeden Nachträuber unterstützen.
    Sylph kam von der Jagd zurück und hockte sich neben ihn.
    »Vielleicht ist das doch keine so gute Idee«, flüsterte er ihr zu. »Diese Überquerung. Vielleicht sollten wir einfach zu unserer Insel zurückkehren.«
    Sylph schüttelten den Kopf. »Südwind und Sol waren beide der Meinung, das wäre wegen dieser Raubvögel zu riskant.«
    »Vielleicht hat Reißzahn ganz einfach gelogen, weil er nicht wollte, dass wir dorthin zurückkehren. Aus reiner Gehässigkeit.«
    »Jedenfalls ist das jetzt viel zu weit weg.«
    »Zehn Tage, mehr nicht.«
    »Ich meine nicht einfach nur die Reisezeit«, sagte seine Schwester. »Glaubst du denn, nach all dem, was passiert ist, du könntest dort wieder glücklich sein?«
    »Wir sind dort geboren worden, Sylph! Ich habe diesen Baum geliebt.«
    »Ich auch. Aber Mama ist in unserem Nest ermordet worden. Wenn wir dorthin zurückkehrten, müsste ich viel zu viel an sie denken. Auch an Papa. Und du hast gesagt, die neuen Bäume seien vollkommen.«
    »Ich weiß, aber … Was ist, wenn ich es nicht schaffe?«, murmelte er. »Wenn ich nicht jeden rüberbringe?«
    »Du wirst es schaffen.«
    »Du weißt nicht, wovon du sprichst.« Plötzlich war er wütend. »Was ist, wenn ich nicht weit genug sehen kann? Wenn ich einen Fehler mache? Wenn ich euch einen falschen Weg weise und ihr werdet gefressen?«
    »Du hast uns von der Insel gebracht …«
    »Nicht alle. Einige sind umgekommen.«
    »Die meisten leben. Und du hast die meisten von uns davor bewahrt, von der Diatryma gefressen zu werden.«
    »Und wenn ich einfach Angst bekomme und davonfliege?«, fragte Dämmer. Diese Frage verfolgte ihn schon den ganzen Tag.
    »Das würdest du niemals tun«, sagte Sylph. »Dafür hast du ein viel zu treues Herz und das weißt du auch.«
    »Aber ich bin nicht so wie ihr anderen«, brach es aus ihm heraus.
    »Doch, bist du schon.«
    »Nein, ich bin anders, wirklich anders.« Es war nicht der richtige Zeitpunkt, doch es war jetzt zu spät, um einen Rückzieher zu machen. Hastig erzählte er ihr von Chimera und was sie zu ihm gesagt hatte: dass er gar kein Chiropter, sondern eigentlich ein Fleder wäre. »Das darfst du aber niemandem erzählen, Sylph.«
    »Natürlich nicht.« Sie blickte zum dunkler werdenden Himmel.
    Dämmer sah sie ängstlich an und fragte sich, was sie wohl denken mochte.
    »Ich hab nichts davon gewollt«, sagte er unglücklich. »Das ist einfach mit mir passiert. Das hätte jedem passieren können. Ich will ja überhaupt kein Fleder sein.«
    »Es spielt keine Rolle, wie du es nennst«, sagte Sylph entschieden. »Du bist anders, das haben wir immer gewusst. Aber du bist immer noch du. Du hast dich doch nicht verändert.«
    »Die Kolonie wird mich nie akzeptieren.«
    »Sie vertraut dir, Dämmer.«
    Überrascht blickte er sie an.
    Sie senkte ihre Stimme noch mehr. »Sie sind doch nicht wegen Südwind geblieben. Sie sind nur wegen dir geblieben. Sie haben sich an all das erinnert, was du für sie getan hast. Sie wissen, dass du dich um sie kümmern wirst.«
    »Ich?«
    »Vielleicht hätte ich dir das nicht sagen sollen«, brummte sie. »Sonst bildest du dir darauf noch was ein.«
    »Also dann bin ich jetzt an der Reihe, Anführer zu werden«, sagte er übermütig.
    »Du und die Hälfte der männlichen Chiropter in der Kolonie. Eigentlich glaube ich, dass deshalb so viele geblieben sind.«
    Sie setzten sich nebeneinander und putzten sich gegenseitig in einvernehmlichem Schweigen. Er konnte mal leise, mal laute Gesprächsfetzen von anderen Chiroptern aufschnappen, die auf den dunklen Ästen warteten.
    »… brechen bald auf …«
    »… ist dein Hinterbein besser geworden?«
    »… ein Wasserpfützchen auf dem Ast, wenn du noch durstig …«
    »Hab keine Angst, Dämmer kann im Dunkeln sehen …«
    »… sind bald in unserem neuen Heim

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