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Nachtflügel

Nachtflügel

Titel: Nachtflügel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kenneth Oppel
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Ordnung. Es ist tot.«
    Um ganz sicherzugehen, blickte er noch einmal zurück auf den leblosen Körper. Es hatten sich bereits Fliegen um die Augen und die Nasenlöcher niedergelassen. Das Wesen schien wirklich tot zu sein. Sein Vater und die anderen landeten vorsichtig auf dem Ast.
    »Ist alles in Ordnung?«, fragte sein Vater, kam schnell zu ihm und berührte ihn besorgt mit der Nase.
    »Nur ein bisschen wund«, sagte er und wurde sich erst jetzt bewusst, wie sehr ihn sein ganzer Körper schmerzte.
    Schweigend betrachteten sie alle aufmerksam die Kreatur. Dann sah sein Vater zu Barat, einem der Ältesten, und nickte.
    »Was ist das?«, fragte Dämmer flüsternd.
    »Ein geflügelter Saurier«, antwortete sein Vater.
    »Ein Saurier!«, stieß Dämmer hervor. Allein beim Aussprechen des Worts stellten sich ihm die Haare. »Aber … sie sind doch alle tot!«
    Sein Vater gab keine Antwort.
    Jeder von ihnen hatte schon Geschichten über Saurier gehört, diese fantastischen Wesen, die einst die Erde bewohnt und beherrscht hatten. Schon oft hatte sich Dämmer die großen schuppigen Ungeheuer vorgestellt, groß wie Mammutbäume, mit riesigem Maul und Zähnen wie Gebirgsketten. Sie waren unersättliche Jäger, die sich von praktisch allen anderen Lebewesen ernährten, großen wie kleinen, einschließlich Chiroptern. Doch sie waren aus der Welt verschwunden, noch bevor Dämmer geboren worden war. Zumindest war ihnen das immer erzählt worden.
    »Erzähl mir, was passiert ist«, sagte Ikaron zu Dämmer.
    Dämmer freute sich, dass er gefragt wurde, nicht Sylph. Weil er Angst hatte, seinem Vater zu erzählen, wie er und Sylph die Thermik geritten hatten, erwähnte er nur, wie sie das Wesen am Himmel erspäht hatten und wie er dann in seinem Luftsog herumgeschleudert worden war und versucht hatte, an ihm vorbeizuklettern, nachdem es abgestürzt war.
    »Ich glaube, es hat etwas zu mir gesagt«, fügte er hinzu.
    »Warum hätte es mit dir sprechen sollen?«, fragte Sylph.
    »Es hat jedenfalls wie eine Sprache geklungen.« Seine Beine zitterten, und er verkrampfte sich, damit das aufhörte. »Aber ich hab nichts verstanden.«
    »Das ist schon in Ordnung«, sagte sein Vater. »Woher solltest du auch eine Sauriersprache können? Meinst du, du schaffst es bis zu unserem Ast?«
    »Ja, aber …«
    »Dann geh«, sagte sein Vater sanft, aber entschieden. »Du auch, Sylph.«
    Neidisch blickte Dämmer zu den anderen Chiroptern, besonders zu seinem ältesten Bruder Südwind. Der würde wahrscheinlich der nächste Anführer der Kolonie werden. Er sah sogar ein bisschen so aus wie ihr Vater. Selbstgefällig nickte er Dämmer zu, als wollte er ihn auffordern, sich zu beeilen. Es war nicht gerecht, dass Südwind blieb, wo doch er, Dämmer, den Saurier von so Nahem gesehen hatte.
    »Warum können wir nicht bleiben?«, fragte Sylph und sprach damit seine Gedanken aus.
    »Wir müssen den Saurier untersuchen.«
    »Aber wir können doch helfen«, sagte Dämmer. »Ich war ziemlich dicht …«
    »Jetzt geh«, sagte sein Vater. »Und sag zu niemandem was, außer zu deiner Mutter. Hast du verstanden? Wenn wir hier fertig sind, berufe ich eine Versammlung der vier Familien ein.«
    Dämmer nickte. Ikaron war nicht einfach nur sein Vater, er war auch der Anführer der Kolonie, und Dämmer wagte nicht, ihm zu widersprechen. Er fing an zu klettern. Diesmal traute er sich nicht, eine Thermik zu suchen und sie zu nutzen. In seinem verwirrten Kopf hingen die Thermik und der Saurier irgendwie zusammen. Außerdem war die Sonne über die Lichtung hinweggezogen, und er hatte Bedenken, ob die warme Luft noch genügend Kraft hätte, um ihn bis hinauf zum Wohnast zu tragen.
    Er würde lange klettern müssen.
    Ärgerlicherweise flitzte Sylph den Baum nach oben, um die Erste zu sein, die ihrer Mutter die Neuigkeiten erzählen konnte. Als sich Dämmer schließlich bis zum Schlafplatz hochgeschleppt hatte, machte Mistral ein Riesenbrimborium um ihn. Am meisten erschreckte sie, dass der Saurier Dämmer mit seinem Atem angeblasen hatte. Sie ließ ihn in einem Regenwasserbecken auf dem Ast baden und wälzte ihn so lange darin herum, bis sein Fell triefend nass war. Dann striegelte sie ihn vom Kopf bis zum Schwanz – sie traute ihm nicht, dass er das selbst ausreichend ordentlich machen würde –, während Sylph mit Ratschlägen behilflich war.
    »Ich würde seine Achselhöhlen zweimal untersuchen. Ich hab da neulich einen ganzen Mehlwurm gefunden.«
    »Danke, Sylph, aber ich

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