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Nachtflügel

Nachtflügel

Titel: Nachtflügel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kenneth Oppel
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Doch allein schon der Gedanke daran war schwierig und unangenehm, weil er den Tod seines Vaters und seiner Brüder bedeutete, und er konnte sich nichts Schlimmeres als das vorstellen.
    »Wenn die Neugeborenen nicht oben in der Luft gespielt hätten, hätte die Kreatur sie nicht entdeckt und die Lichtung vielleicht nicht als Ziel gewählt.« Diese vorwurfsvollen Worte kamen von Nova, der einzigen Frau unter den Ältesten, und waren an Ikaron gerichtet. »Viele von uns hätten getötet werden können.«
    Dämmer biss die Zähne zusammen, er fand das ziemlich ungerecht.
    »Der Dinosaurier war nicht auf der Jagd«, antwortete Ikaron ihr. »Er war bereits im Todeskampf.«
    »Und wer sagt, dass es nicht hier in der Nähe ein Nest gibt?«, fuhr Nova fort.
    Obwohl sie fast so alt war wie sein Vater, hatte Nova ein ihrem Alter völlig unangemessen dickes und feurig kupferfarbenes Fell. Es passte zu ihrem Temperament. Bei den wenigen Gelegenheiten, bei denen Dämmer sie im Gespräch mit anderen Chiroptern erlebt hatte, vertrat sie oft streitbar eine gegenteilige Meinung – so wie ihr Großneffe Jib, dachte er naserümpfend. Dämmer hatte immer den Eindruck, Nova könnte seinen Vater nicht leiden, doch sein Vater schien ihr nie etwas nachzutragen.
    Ikaron nickte. »Selbst wenn das so wäre, diese Flieger bedeuten für uns kaum eine Bedrohung. Sie werden Quetzals genannt«, erklärte er der Versammlung. »Die größten der Flugsaurier. Sie holen sich Fische aus flachen Gewässern und andere Lebewesen aus dem Schlick. Oder sie suchen die Grasebenen nach Beute ab. Über dem Wald können sie nicht jagen. Das Blätterdach verbirgt uns und gewährt uns Sicherheit.«
    Dämmer war erstaunt, wie kenntnisreich sein Vater klang. Wie viel Erfahrung hatte er wohl mit diesen Wesen?
    »Aber heute waren wir nicht sicher«, bohrte Nova weiter. »Es war nur eine Frage der Zeit, bis das einmal passieren würde. Für jeden Saurier, den wir entdecken, stehen Hunderte von unentdeckten. So was passiert eben, wenn wir unseren Verpflichtungen nicht nachkommen.«
    Verpflichtungen? Dämmer blickte zu seiner Mutter und sah, wie sie sich versteifte. Wovon sprach Nova überhaupt?
    Schweigend wechselte Ikaron Blicke mit Barat und Sol.
    »Das ist keine Angelegenheit, die hier diskutiert werden sollte«, sagte Sol ärgerlich zu Nova.
    »Oh, ich denke doch«, sagte Nova. »Und das hätte auch schon vor Jahren passieren müssen. Dieser Saurier in unserem Wald ist der Beweis dafür!«
    Barat schüttelte seinen grauen Kopf. »Nova. Du sprichst sehr unbedacht.«
    »Lass sie nicht noch mehr sagen!«, flehte Sol Ikaron an.
    »Bring sie zum Schweigen!«, stimmte Barat hitzig zu.
    »Schweigen – das genau ist doch das Problem!«, schrie Nova. »Es ist viel zu lange geschwiegen worden.«
    »Genug jetzt!«, rief Ikaron und Dämmer zuckte zusammen.
    Alle Augen waren erwartungsvoll auf den Anführer gerichtet.
    »Nova, du hast unbesonnen und ohne mein Einverständnis gesprochen.« Er machte eine Pause, während der er sie finster anblickte. »Aber vielleicht hast du recht«, redete er dann etwas ruhiger weiter. »Wir sollten erklären, was in der Vergangenheit geschehen ist. Da gibt es nichts, wofür wir uns schämen müssten, und vieles, auf das wir stolz sein können.«
    Nova ließ dazu nur ein kurzes Schnauben vernehmen. Dämmer hätte ihr am liebsten ins Ohr gebissen.
    Barat und Sol blickten Ikaron an und warteten darauf, dass er anfing.
    Ikarons Stimme drang hinaus bis zu den letzten Astspitzen. »Ihr habt alle von den Sauriern gehört. Vor tausend Jahren waren sie die uneingeschränkten Herrscher der Erde. Einige von ihnen waren Pflanzenfresser, viele Fleischfresser. Manche gingen aufrecht auf zwei Beinen, andere trampelten auf vier Beinen daher. Ein paar konnten fliegen. Sie jagten sich gegenseitig, aber sie ernährten sich auch von Tieren, einschließlich Chiroptern. Jedoch unsere Wendigkeit und unsere verhältnismäßig geringe Größe verhalfen uns sowie den anderen Tieren zu einer gewissen Sicherheit. Wir konnten uns verstecken und uns in Bäume zurückziehen, da die meisten Dinosaurier nur ziemlich armselige Kletterer waren.«
    Dämmer lauschte mit gespannter Aufmerksamkeit. Einiges davon hatte er schon früher einmal gehört, aber nicht so ausführlich. Und seine geschlossenen Augen machten es ihm einfacher, sich zu konzentrieren und Bilder im Kopf entstehen zu lassen.
    »Die Saurier waren sehr gefräßig. Sie fraßen und fraßen und vermehrten sich und

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