Nachtflügel

gediehen. Und wir haben sie beobachtet und haben abgewartet, denn so konnten sie nicht ewig überleben. Sie waren riesig und stark, aber ohne große Mengen an Nahrung würden sie verhungern und ohne die Sonne konnten sie sich selbst nicht einmal warm halten. Und so waren sie an kühlen Tagen unbeweglich und schwerfällig, bis die Sonne ihre schuppige Haut aufheizte. Und doch herrschten sie über das Tierreich, bis sich vor Tausenden von Jahren der Himmel veränderte und sie fast alle ausgerottet wurden. Manche sagen, ein Teil des Himmels sei eingestürzt, auf die Erde gekracht, und der Staub, der davon aufgewirbelt wurde, habe die Sonne verdunkelt.«
    Dämmer schauderte es, als er sich vorstellte, wie sich der Himmel verdichtete und mit der Dunkelheit verband.
    »Es wurde sehr kalt. Alles, was Sonne benötigte, ging zugrunde. Erst starben die Pflanzen, dann die Dinosaurier, die Pflanzen fraßen, und dann die Fleischfresser, die sich von ihnen ernährten. Aber wir waren in der Lage zu überleben. Wir waren klein und schnell und wir brauchten wenig. Als die Welt kalt wurde, wurden die Saurier mit ihr kalt und starben. Wir in unserem Fell blieben warm und fielen in Winterschlaf, wenn es nötig war. Wir haben die lange, kalte Nacht überstanden, aßen Insekten, Larven und Samen. Als es vorbei war, lagen die riesigen Gerippe der Saurier über die Erde verstreut. Aber einige hatten überlebt.«
    Ikaron machte eine Pause, und dann folgte eine Geschichte, von der Dämmer noch nie gehört hatte.
    »Da erkannten die Tiere ihre Chance. Die Saurier waren schwächer als jemals zuvor. Viele waren krank, ihre Schuppen verfaulten. Doch soviel wir wussten, würden sie wieder erstarken, wenn wir nicht etwas unternahmen. Und daher haben die Tiere vor Hunderten von Jahren den Pakt geschlossen.«
    Wieder zögerte Ikaron, als fiele es ihm keineswegs leicht, diese Geschichte zu erzählen. Ein Pakt, dachte Dämmer aufgeregt. Das klang geheimnisvoll und wagemutig.
    »Den Tieren war klar, dass sie niemals darauf hoffen konnten, die Saurier im Kampf zu besiegen. Dafür waren sie viel zu gewaltig. Doch die Tiere wussten, dass sie sie auf andere Art angreifen konnten. Zu den Bedingungen des Pakts gehörte, dass sich alle Tiere verpflichteten, sich niemals untereinander etwas anzutun. Sie würden zusammenarbeiten, die Nester der Saurier ausfindig machen und die Eier zerstören. So würden sie verhindern, dass eine neue Generation von Sauriern heranwuchs. Es würde zwar Jahrhunderte dauern, doch schließlich würden sie die Saurier gänzlich auslöschen.«
    In der darauf folgenden Stille überfiel Dämmer ein Frösteln. Er wusste nicht, was er denken sollte. Sicherlich war das ein ausgeklügelter Plan – aber auch erschreckend gnadenlos. Doch wie sonst hätten die kleinen Lebewesen jemals hoffen können, die großen zu besiegen? Einen langen, unbehaglichen Moment stellte sich Dämmer all die hilflosen Saurierschlüpflinge vor, die in ihren Eiern heranwuchsen, und dann ganz plötzlich wurden die Eierschalen, die sie umgaben, aufgerissen.
    »Der Pakt war eine geniale Leistung«, verkündete Nova allen Chiroptern voller Überzeugung. »Er war der Triumph unserer Intelligenz über die schwerfällige Macht der Saurier.«
    »Er war barbarisch«, erwiderte Ikaron ruhig. »Besonders, weil viele der Saurier nicht einmal Fleischfresser waren. Sie stellten keine Gefahr für uns dar, doch wir haben ihre Eier trotzdem zerstört.«
    »Die Eier sahen immer gleich aus, egal, welche Sorte Saurier sie enthielten«, gab Nova zurück. »Deshalb mussten wir sie alle zerstören. Das war eine Frage des Überlebens.«
    »Das war Ausrottung«, stellte Ikaron fest.
    »Nenne es, wie du willst«, sagte Nova. »Die Tiere haben in ständiger Furcht gelebt …«
    »Furcht, ja«, unterbrach Ikaron sie, »aber jedes Lebewesen fürchtet seinen Feind. Das ist der Lauf der Dinge. Doch der Pakt war irgendwie unnatürlich. Der Pakt war die ganz bewusste Entscheidung, die Erde von den Dinosauriern zu säubern, damit die Tiere an ihrer Stelle herrschen könnten!«
    Dämmer hatte seinen Vater noch nie so leidenschaftlich erlebt, und ängstlich blickte er zu Nova und fragte sich, wie sie wohl reagieren würde. Er fühlte sich ganz elend, denn diese Art von Wortgefecht kannte er noch nicht. Die Beherrschung seines Vaters war bemerkenswert. Seine Worte kamen nicht zögerlich und seine Stimme schwankte nicht. Aber auch Nova war eindrucksvoll, musste Dämmer zugeben.
    »Die Zeit der