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Nachtflügel

Nachtflügel

Titel: Nachtflügel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kenneth Oppel
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nur mit den Grillen und den Sternen als Gesellschaft.
    Ein Glühwürmchen leuchtete kurz in der Dunkelheit auf und instinktiv schickte Dämmer ein Sperrfeuer an Schnalzgeräuschen los.
    In seinem Kopf sah er das Glühwürmchen und seine Flugbahn aufleuchten, und dann …
    Ihm stockte der Atem vor Überraschung.
    Silbriges Licht blühte von dem Glühwürmchen auf wie kleine Wellen auf einem Wassertümpel, ließ eine Gruppe anderer Insekten sichtbar werden – und dahinter das Wogen der Äste auf der anderen Seite der Lichtung. Das Licht verblasste und Dämmer starrte wieder nur in die Dunkelheit.
    Wie alle Chiropter hatte er das Jagdschnalzen immer benutzt, um eine Beute anzupeilen.
    Aber er hatte nicht gewusst, dass er damit Licht in die Dunkelheit bringen konnte.
    Versuchsweise schickte er eine neue Serie von Schnalzgeräuschen los. Seine Ohren spitzten und drehten sich, um jedes Echo aufzufangen. Und wieder erschien die Welt in seinem Kopf wie in Silber getaucht. Tausende fliegender Insekten erschienen als Lichtstreifen vor den unbewegten Stämmen und schwankenden Ästen der großen Mammutbäume. Wer hätte gedacht, dass nachts so viele Insekten aktiv waren! Nachtfalter, Käfer und Mücken, genug, um eine ganze Kolonie von Chiroptern zu ernähren.
    Die Welt wurde wieder schwarz und Dämmer atmete tief ein.
    Er konnte im Dunkeln sehen!
    Warum hatte ihm das niemand gesagt? Ob Sylph das schon wusste und es nur für sich behielt? Das würde er ihr glatt zutrauen. Oder aber es hatte wirklich noch niemand gemerkt. Tagsüber würde das nur schwer zu erkennen sein, weil die Welt ja bereits beleuchtet war. Und das war schließlich die einzige Zeit, in der sie jagten und das Schnalzen einsetzten.
    Er fragte sich, wie weit er wohl sehen konnte. Er drehte seinen Kopf in Richtung des toten Sauriers. Das war eine lange Strecke. Er schoss mehrere Jagdschnalzer ab.
    Die Echos ließen noch mehr fliegende Insekten aufleuchten, verklangen aber, ehe sie ihm ein Bild von dem weit entfernten Baum bringen konnten. Er schien sich außerhalb seiner Reichweite zu befinden, doch er war noch nicht bereit aufzugeben. Er holte tief Luft, machte den Mund noch weiter auf und sang aus vollem Hals eine ganze Arie stärkerer und längerer Jagdgeräusche.
    Diesmal sah er nicht einmal die Insekten, sondern nur Dunkelheit. Doch als er kurz davor war aufzugeben, erblühten in seinem Kopfauge die weit entfernten unteren Äste des Mammutbaums. Und da, beim Stamm, vom Echolicht beleuchtet, erblickte er den Kopf und den schlaff herunterhängenden Flügel des Sauriers.
    Es war unglaublich! Er konnte nicht nur in der Dunkelheit sehen, er konnte auch die nahen und die fernen Dinge verschieden sehen – in einem schnellen Aufglühen von Licht oder langsam aufhellend –, je nachdem, wie er sein Schnalzen gestaltete.
    Er versuchte es wieder und betrachtete die Umrisse des Sauriers.
    »Dämmer?«
    Beim Klang der Stimme seiner Schwester direkt neben ihm schrak er zusammen. Nach der Helligkeit seiner Klangbilder schien sie im Licht der Sterne zu verschwimmen.
    »Hi«, sagte er. »Kannst du auch nicht schlafen?«
    Sie schüttelte den Kopf. »Was machst du da?«
    »Ich guck nur so.«
    Sie blickte ihn verwundert an. »Nach was guckst du denn? Es ist stockdunkel.«
    Dämmer hatte seinen Spaß. »Du weißt es nicht? Du weißt es wirklich nicht? Du kannst dein Jagdschnalzen einsetzen!«
    »Um im Dunkeln zu sehen?«
    Er nickte. »Ich weiß nicht, warum sie uns das nie gesagt haben. Es ist fantastisch. Versuch es. Du kannst alles in deinem Kopf sehen.«
    Sie wandte sich der Lichtung zu, und Dämmer sah, wie ihre Kehle und ihr Kiefer vibrierten, während sie ihr Schnalzen ausstieß. Er wartete gespannt darauf, wie sich ihr Gesicht vor Begeisterung aufhellen würde.
    »Und?«, fragte er einen Moment später.
    »Ich glaube, ich hab ein oder zwei Käfer gesehen.«
    »Das war alles?«
    »Ja.«
    »Aber hier draußen sind Hunderte von Käfern!«
    »Mag sein. Aber ich hab nur welche gesehen, die ziemlich nahe waren.«
    »Versuch’s noch mal. Du kannst stärkere Schnalzer aussenden.«
    »Wie soll ich das machen?«, fragte sie ziemlich laut.
    »Pst«, sagte er. »Du weckst ja alle auf.«
    »Sag mir nicht, ich soll leiser sein, Dämmer«, flüsterte sie mit grollender Stimme. »Ich bin allmählich schon reichlich genug ruhig gestellt worden.«
    »Entschuldige. Also, du musst kräftiger schnalzen …« Wie sollte er das erklären? Er hatte es instinktiv gemacht. »Konzentrier dich

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