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Nachtflügel

Nachtflügel

Titel: Nachtflügel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kenneth Oppel
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fraß Reißzahn. Er streifte durch den Wald und fand genügend Früchte, Maden und andere Insekten – doch er konnte den Geschmack des Saurierfleischs nicht vergessen und die Erinnerung daran ließ ihn seine Mahlzeit fade und unbefriedigend erscheinen.
    Insekten bildeten den Hauptbestandteil der Felidennahrung, vor allem die großen Asseln, die unter Steinen oder herabgefallenen Ästen leicht aus der Erde geholt werden konnten. Sie waren schnell mit ihren vielen Beinen, aber wenn man sie auf den Rücken drehte, war ihr weicher Bauch schutzlos. Ihr Fleisch allerdings schmeckte kalt und saftlos.
    Um sich abzulenken, schritt er durch die Meute und sonnte sich in den bewundernden Blicken der Feliden. Er hatte schon immer sein hohes Ansehen genossen und so hoch wie jetzt war es noch nie gewesen. In dem Monat, den er fort gewesen war, schien die Meute beachtlich gewachsen zu sein. Nachdem die Saurier weitestgehend ausgestorben waren, begann für die Feliden ein sorgloses Leben, praktisch ohne gefährliche Feinde. Zahllose Neugeborene sprangen herum, deren Mütter müde, aber zufrieden auf sie aufpassten.
    Träge stellte er sich sein weiteres Leben vor. Er würde sich mit Panthera zusammentun, und sie würde froh sein, seine vielen Kinder auszutragen. Und was für ausgezeichnete Jäger ihre Nachkommen sein würden.
    Er runzelte die Stirn. Wenn die Meute sich ständig so vergrößerte, müssten sie alle weiter ausschwärmen, um genug Futter zu finden. Und wenn die anderen Königreiche der Tiere ebenso gediehen, würde dann nicht eine Zeit kommen – allzu schnell vielleicht –, in der der Mangel ihr neuer Feind wäre? Es sei denn …
    Als Reißzahn sich auf einem Ast ausgestreckt hatte und nachdenklich seine Pfoten leckte, gesellte sich Patriofelis zu ihm. Reißzahn stand ehrerbietig auf und bot seinem Anführer einen Platz an. Reißzahn wusste schon länger, dass er ein besonderer Günstling von Patriofelis war, spätestens nachdem er von ihm als ein so heldenhafter Jäger gepriesen worden war. Er hatte der Meute schon jahrelang gute Dienste geleistet, wenn er das Gebiet verteidigt und unermüdlich nach Sauriereiern gesucht hatte. Er hatte auch darüber reden hören, dass er als der nächste Anführer vorgesehen sei.
    »Du musst erschöpft sein«, sagte Patriofelis.
    »Niemals«, erwiderte Reißzahn.
    »Eine ausgezeichnete Antwort«, sagte der Anführer und für eine Weile saßen die beiden in einvernehmlichem Schweigen nebeneinander.
    »Wir sind jetzt sehr viele«, sagte Reißzahn und blickte auf die Feliden, die durch das Unterholz streiften.
    »Das sind wir wirklich«, schnurrte Patriofelis zufrieden.
    Reißzahn machte eine kurze Pause, bevor er weitersprach. »Vielleicht zu viele.«
    »Wie meinst du das?«
    Reißzahn überlegte, ob er nicht etwas vorschnell war, doch solange sein neuer Ruhm ihn noch umgab, war dies wohl der beste Zeitpunkt, an dem seine Worte gut aufgenommen werden würden.
    »Wir haben Erfolg gehabt, ja«, sagte er, »doch je mehr wir werden, desto schwieriger wird es sein, uns alle zu ernähren.«
    Selbstzufrieden leckte Patriofelis seinen Schwanz. »Im Wald hat es immer genug zu fressen für uns gegeben.«
    »Aber wir teilen den Wald mit vielen anderen Tieren. Und nachdem die Saurier nun weg sind, werden sie sich stärker vermehren«, erklärte Reißzahn. »Wir alle ernähren uns von denselben Sachen. Bald wird es nicht mehr genug davon geben.«
    Patriofelis sah nachdenklich aus. »Die Welt ist groß. Wir können unser Gebiet erweitern.«
    »Natürlich«, sagte Reißzahn und zwang sich, respektvoll zu schweigen.
    Patriofelis gab Reißzahn einen liebevollen Klaps mit der Pfote. »Die Welt ist jetzt friedlich. Auch der beste Jäger muss sich einmal erlauben auszuruhen.«
    »Aber wer wird uns als Nächstes jagen? Das ist die Frage.«
    »Die Vögel spielen da nur eine geringe Rolle, solltest du an sie gedacht haben.«
    »Nein, ich denke an die anderen Tiere.«
    »Es war nie die Art der Tiere, sich gegenseitig zu jagen.«
    »Wenn wir klug sind, sind wir die Ersten, die das tun.« Reißzahn hatte sich zu seinem Anführer gedreht und die Stimme gesenkt. Seine Ohren lagen flach am Kopf an.
    »Was sagst du da, Reißzahn?« Patriofelis fauchte leise.
    »Du hast es selbst gesagt. Die Saurier sind fort und alle Tiere erben die Erde. Irgendjemand muss als neuer Herrscher auftreten. Lass uns das sein.«
    Patriofelis strich sich mit den Krallen durch das ergraute Fell an der Kehle. »Wie willst du das

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