Nachtflügel
dieselben Farben wie Teryx, war aber um einiges größer und der Ast bog sich unter seinem Gewicht.
»Verschwinde hier, du Eierfresser!«, kreischte der Vogel.
»Mutter …«, fing Teryx an.
»Wie kannst du es wagen, einfach in unser Gebiet einzudringen!«, fuhr die Mutter Dämmer mit schriller Stimme an, sie schlug dabei mit ihren großen Schwingen und hätte ihn fast vom Ast geweht.
»Entschuldigung«, stieß Dämmer hervor, während er nach hinten krabbelte. »Ich wollte nicht …«
»Wir haben dich rumflattern sehen!«, kreischte die Mutter. Ihre Kopffedern stellten sich auf und zeigten darunter grellrote Federn. »Du hast kein Recht dazu! Hör auf zu fliegen, wenigstens dir zuliebe! Es gibt da welche, die würden sich freuen, dir die Flügel aus deinem kleinen Körper zu reißen.«
Dämmer konnte kurz Teryx sehen, der hinter seiner Mutter zusammenzuckte, und mit aufgestellten Kopffedern mit dem Kopf ruckte. Er sah genauso verschreckt aus, wie Dämmer sich fühlte.
»Und halt dich von unserem Gebiet fern!«, zischte der Muttervogel und sprang auf ihn zu, den gezackten Schnabel weit aufgerissen. Dämmer sprang, spannte die Segel auf und glitt in Spiralen zwischen den Ästen des großen Mammutbaums nach unten. Mit einem schnellen Blick hinter sich stellte er fest, dass er nicht verfolgt wurde, und landete auf einem Ast, während sein Herz flatterte wie eine Motte. Er war noch nie von einem Muttertier angegriffen worden. Empörung wallte in ihm auf. Wer war sie eigentlich, ihm zu sagen, er solle mit dem Fliegen aufhören?
Eierfresser!
Es war so ungerecht. Sein Vater war auf die Insel gekommen, um den Eierfressern zu entkommen. Doch diese Vögel beschuldigten sie noch immer für etwas, das sie nie getan hatten.
Er wusste nicht, was er tun sollte. Wenn er es seinen Eltern erzählte, würde er große Schwierigkeiten bekommen, nur weil er mit einem Vogel gesprochen hatte. Es gewagt zu haben, ihr Gebiet zu betreten, war noch schlimmer. Er konnte kaum glauben, wie dumm er sich benommen hatte. Wenn Nova das herausfand, würde sie sagen, dass sie recht gehabt hatte und dass sein Fliegen die Wut der Vögel erregte und der ganzen Kolonie nur Ärger bringen würde.
Aber was war, wenn Teryx’ Geschichte von den Saurierknochen und den Eierfressern stimmte? Sein Vater müsste darüber eigentlich etwas wissen.
Dämmer hörte auf zu zittern. Sein Magen entspannte sich. Er könnte doch jederzeit selbst nachsehen. Teryx hatte gesagt, es sei nicht weit. Das war es. Wenn der Vogel gelogen hatte, musste Dämmer seinen Eltern überhaupt nichts sagen. Er könnte das alles vergessen und nur daran denken, sich den Vögeln niemals wieder zu nähern. Ungehobelte Kreaturen!
Er würde sich aufmachen und diese Saurierknochen finden – sofern es sie überhaupt gab.
Dämmer war bereits über die Lichtung geflogen, die Teryx ihm beschrieben hatte, und als dann das Land abfiel, wurde er langsamer. Die Bäume standen nicht mehr so dicht. Er war nicht gerne ganz alleine im Wald. Als Sylph dabei war, war es nicht so schlimm gewesen, doch nun war er nervös und fühlte sich verwundbar. Es war den Chiroptern nicht ausdrücklich verboten, auf Erkundungstour zu gehen, sie taten es einfach nicht so oft. Es gab keinen Grund dafür, denn alles, was sie brauchten, fanden sie im Umkreis des Mammutbaums.
Das musste die richtige Stelle sein. Er wollte dem Boden nicht zu nahe kommen, besonders nicht nach seinem letzten erschreckenden Erlebnis da unten. Darum landete er auf einem Ast und spähte in das Gewirr von Grün und Braun, in dem die bunten Blüten der Kletterpflanzen aufleuchteten. Streifen von Sonnenlicht reichten bis nach unten, doch es gab auch viele düstere Schattenbereiche. Er durchleuchtete sie mit seinem Echosehen, und der Waldboden trat plötzlich deutlich hervor, während er ihn nach Saurierknochen absuchte.
Dann holte er tief Luft.
Teryx hatte nicht gelogen. Sie waren von grünem Moos überzogen und von Ranken umschlungen, und hätte er nur mit seinen normalen Augen hingesehen, hätte er sie wohl für verkrümmte Äste gehalten. Doch mit seinem inneren Auge erkannte er leicht das Muster, das sie bildeten: eine Reihe von Bögen, die sich über den Boden erhoben.
Rippen!
Was zunächst nach Blättern aussah, die durch Regen und Schlamm an den Rippen klebten, erwies sich als Überreste von Haut und Schuppen.
Warum war nicht einer der Suchtrupps der Chiropter neulich über diese Überreste gestolpert? Er vermutete, da sie alle an
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