Nachtflügel
essen zu besorgen oder Material für ihr Nest. Doch es würde nicht lange dauern, bis sie zurückkämen. Sylph und die beiden anderen betrachteten aufmerksam das Nest, dann krabbelten sie auf den Ast, griffen mit den Krallen in die Wand des Nests und bewegten sich auf den Rand zu. Dämmers Herz krampfte sich vor Angst zusammen.
Er hatte versprochen, es nicht mehr zu tun. Aber er tat es.
Er flog.
Er musste sie aufhalten, bevor es zu spät war. Mit harten Schlägen stieg er schnell auf. Zu rufen, traute er sich nicht, um nicht die Aufmerksamkeit der anderen Vögel auf sie zu lenken. Sylph hatte den Rand erreicht, und Dämmer konnte sie nicht mehr sehen, da sie zusammen mit ihren Freunden im Inneren des Nests verschwunden war. Er schlug noch schneller mit seinen Segeln und kreiste über dem Nest.
Voller Entsetzen starrten ihn Sylph, Jib und Terra aus dem Nest heraus an, sie hielten ihn für einen Vogel.
Da lagen drei blaue Eier, vor jedem der drei Chiropter eines, ihre Krallen schon an der Schale, bereit, sie aufzubrechen.
»Ihr drei, raus hier!«, rief Dämmer.
»Sei still, Dämmer!«, zischte Jib. »Die hören uns sonst!«
»Sylph, lass die Eier in Ruhe!«, sagte er völlig außer Atem zu seiner Schwester.
Sie blickte von ihm zu ihren Freunden, als wäre sie unsicher, was sie tun sollte.
»Macht schnell, zertrümmert sie!«, drängte Jib und versuchte, seine Daumenkralle in die Schale zu drücken.
Dämmer ließ sich in das Nest fallen, richtete sich vor Jib auf und ließ seine Segel in das Gesicht des anderen Chiropters knallen.
»Raus jetzt, oder Ikaron erfährt davon!«
»Die haben meinen Cousin getötet«, fauchte Jib.
»Und die bringen noch viel mehr von uns um, wenn ihr das hier tut. Und jetzt raus, bevor euch die Mutter die Segel abhackt. Ich glaub, ich hör was kommen!«
Das war gelogen, doch er war verzweifelt und es schien Jibs Entschlossenheit zu brechen.
»Also raus hier«, sagte er und sie alle kletterten an der Wand des Nests nach oben. Vom Rand aus warfen sie sich in die Luft und glitten rasch davon. Dämmer flatterte und hob ab, folgte Sylph in der Hoffnung, dass sie nicht von irgendwelchen Vögeln entdeckt worden waren.
In Sichtweite des Mammutbaums schwenkten Jib und Terra ab und ließen Sylph und Dämmer alleine. Sie landete auf einem Ast, Dämmer neben ihr. Sylph fuhr herum.
»Du hast mich blamiert!«, sagte sie.
»Du solltest dich lieber schämen!«, sagte er ihr. »Hast du überhaupt eine Vorstellung davon, was ihr da beinahe gerade angerichtet habt?«
»Ja, und wir hätten es auch getan, wenn du nicht aufgetaucht wärst. Da ist wahrscheinlich gar kein Vogel gekommen, oder?«
»Nein, aber ich musste euch irgendwie dazu bringen aufzuhören. War das deine Idee?«
»So ungefähr.«
»Sylph!«
»Also Jib und ich haben uns das ausgedacht. Papa hat ja nichts unternommen. Er hat den Mut verloren! Nova hätte die Vögel nicht so davonkommen lassen.«
»Sie ist aber nicht die Anführerin«, fauchte Dämmer. »Und das wird sie auch nie werden.«
»Jib sagt, das sei die Schuld unseres Vaters, dass sie nicht Anführerin ist.«
»Wie bitte?«
»Novas Vater Proteus hat als Erster daran gedacht, aus dem Pakt auszutreten. Das Ganze war seine Idee. Außerdem war er der Älteste. Also hätte er Anführer werden müssen. Aber Papa hat sich stattdessen selbst zum Anführer gemacht. Das hat Jib gesagt.«
Dämmer wurde übel. »Du meinst wohl, das hat Nova gesagt. Ich glaube ihr gar nichts.«
»Vielleicht solltest du das aber. Und vielleicht wären wir mit ihr als Anführerin besser dran.«
»Dass du es überhaupt wagst, so was auszusprechen!«
Er erschrak vor seiner eigenen Wut, und Sylph offensichtlich auch, denn sie rückte ein Stück von ihm weg. Eine Weile sagten sie beide nichts.
»Wenn du das Ei zerbrochen hättest«, sagte Dämmer dann etwas ruhiger zu Sylph, »hätten die Vögel Vergeltung geübt und alles wäre noch schlimmer geworden. Das machst du nicht noch mal, oder?«
Sie starrte ihn an.
»Sylph, versprich mir das oder ich erzähle alles Papa.«
»Na gut«, schnauzte sie. »Ich mach nichts mehr. Aber ich verstehe nicht, warum wir unbedingt die sein sollen, die verzeihen.«
»Du sollst denen nichts verzeihen, du sollst dich bloß nicht rächen.«
»Du klingst wie Papa«, spottete sie.
»Er versucht nur, das Beste für uns alle zu tun.«
»Wirklich? Und was ist mit dir? Du könntest fliegen und jetzt hat er es dir verboten. Macht dich das nicht wütend?«
»Ja, aber
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