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Nachtflügel

Nachtflügel

Titel: Nachtflügel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kenneth Oppel
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nicht auf Papa.«
    Das stimmte nicht ganz, aber er wusste, dass sein Unmut darüber nicht gerecht war. Ihr Vater war nur bestrebt, den Frieden zu bewahren, und der Preis des Friedens war, seinem eigenen Sohn etwas sehr Wertvolles wegzunehmen.
    »Wann kapierst du endlich, dass Papa nicht vollkommen ist?«, fragte Sylph. »Manchmal hat er nicht recht, Dämmer, und dann ist er zu stolz, das zuzugeben. Es war nicht richtig von ihm, aus dem Pakt auszutreten, und es war nicht richtig, dich anstelle der Vögel zu bestrafen!«
    »Nein …«
    »Wenn ich du wäre«, sagte seine Schwester leidenschaftlich, »würde ich mit dem Fliegen nicht aufhören. Das macht dich zu einem genauso großen Feigling wie Papa.«
    Und dann glitt sie von ihm fort.
    Zunächst war die Beute noch völlig arglos.
    Reißzahn überraschte viele Grundlinge, sprang sie an, bevor sie ausreißen konnten. Doch schon eine einzige Tötung – die durchdringenden Geräusche und der Geruch, der sich in der schwülen Luft verbreitete – reichte, um alle anderen Tiere in der Nähe zu warnen. Und von Tag zu Tag wurde das Jagen schwieriger, da die Nachricht von Reißzahn und seiner fleischfressenden Meute ihnen im Wald vorauseilte.
    Während er verstohlen durch das dämmrige Unterholz tappte, spürte Reißzahn, wie alles wachsam und still wurde. Die Grundlinge versteckten sich. Oben in den Bäumen kletterten die Tiere höher und verbargen sich hinter dem Blattwerk.
    Nachdem er sich ein Leben lang von Pflanzen und Insekten ernährt hatte, empfand Reißzahn das Jagen als schwere Arbeit. Manchmal dauerte es einen ganzen Morgen oder Abend, bis er eine Beute gerissen hatte. Die Tiere, die sie erwischen konnten, neigten inzwischen dazu, sich heftig mit Klauen und Zähnen zu wehren, und oftmals entkamen sie. Reißzahn wurde von dieser Herausforderung angestachelt, doch er machte sich Sorgen, dass ihm die schwächeren Jäger fortlaufen würden, wobei sie törichterweise glaubten, sie könnten zu Patriofelis und ihrem alten Leben zurückkehren. Andere in seiner Meute, wie Miacis zum Beispiel, waren geborene Jäger, listig und gerissen, wenn sie ihre Beute anschlichen, und unerbittlich, wenn sie zuschlugen. Doch einige hatten es noch nicht einmal geschafft, überhaupt etwas zu fangen, und waren auf die Reste der anderen angewiesen. Reißzahn beobachtete und merkte sich die Starken und die Schwachen.
    Gestern war die Jagd besonders dürftig gewesen. Sie hatten auf ihr altes Futter zurückgreifen müssen, um den Magen voll zu bekommen. Jedes Mal, wenn Reißzahn eine Made oder eine Wurzel fraß, fühlte er sich beschämt. Er wollte Fleisch. Sie mussten bessere Jäger werden, besonders jetzt, wo die anderen Tiere immer wachsamer wurden.
    Er sprang auf die unteren Äste eines Baums und hörte, wie er vermutet hatte, das Kratzen von Krallen auf der Rinde weiter oben. Hungrig biss er die Zähne zusammen, während seine Augen versuchten, die Schatten zu durchdringen. Jetzt würde er Beute machen. Er war beweglich und konnte gut klettern. Auch wenn er einen nackten Baumstamm nicht weit hochklettern konnte, so konnte er gut von Ast zu Ast springen, wobei ihm seine gekrümmten Krallen ausreichend Halt verschafften.
    Über sich entdeckte Reißzahn einen Ptilodonten mit seiner stumpfen Nase. Ein weißer Streifen verlief durch sein rotbraunes Fell auf dem Rücken bis zum Schwanz. Er war nicht allein, es gab eine ganze Familie davon und alle hasteten quietschend vor Angst auf den Stamm zu.
    Reißzahn sprang auf den nächsthöheren Ast und nahm die Verfolgung auf. Doch voller Bestürzung musste er mit ansehen, wie sie alle in einem kleinen Loch im Baumstamm verschwanden. Er kam näher, presste sein Gesicht dagegen und langte dann mit der Pfote hinein, wurde aber heftig gezwickt. Fauchend und bebend vor Wut zog er sich zurück, dann stolzierte er über den Ast und überlegte, was er nun tun sollte.
    Er hob die Augen und sah die dunklen Umrisse der Vögel, die sich putzten und für die Nacht niederließen. Einer saß in einem Nest.
    Sein Mund füllte sich mit Speichel. Es war lange her, dass er sich von Eiern ernährt hatte.
    Noch nie hatte er versucht, Vögel zu jagen. Sie konnten so einfach wegfliegen.
    Doch ihre Eier konnten das nicht.
    Er kletterte im Baum nach oben. Die Mutter in dem Nest fing an zu kreischen und flatterte ihm entgegen, doch Reißzahn zögerte nicht. Er war hungrig und heute Abend würde er Fleisch fressen. Er erreichte den Ast und sprang auf ihm entlang zum Nest,

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