Nachtflug Zur Hölle
relativ wenige Amerikaner auf, die dafür aber um so einflußreicher sind. Der Präsident von Navistar International ist in Kaunas, um den Neubau einer mit litauischer Beteiligung errichteten Landmaschinenfabrik einzuweihen; die halbe Rechtsabteilung der Pepsi verhandelt wegen eines Abfüllbetriebs in Wilna; Kellog’s errichtet nördlich von Wilna eine Fabrik für Frühstücksflocken… Eine vollständige Liste enthält der vor Ihnen liegende Ordner.«
Der Präsident blätterte in dem blauen Ordner mit dem blauen CIA-Emblem und erkundigte sich dann: »Was halten Sie von der Ankündigung der GUS, daß diese Leute nicht in Gefahr sind, solange sie nicht reisen? Ist das auch Ihre Einschätzung? Sind unsere Leute in Gefahr?«
»Im Augenblick nicht«, antwortete Mitchell. »Sie sind alle in Hotels oder Privathäusern untergebracht und haben vorläufig noch Verbindung zu unserer Botschaft. Bisher sind sie weder kontrolliert noch anderweitig belästigt worden. Satellitenbilder zeigen, daß in Litauen kleinere Bewegungen von GUS-Truppen stattgefunden haben – aber bislang weist nichts auf eine bevorstehende Besetzung der Hauptstadt hin.«
»Also droht ihnen von keiner Seite Gefahr?«
Mitchell zuckte mit den Schultern. »Schwer zu beurteilen, Mr.
President. Aber ich glaube, daß nach einiger Zeit eine gewisse Entspannung eintreten wird.«
»Das Pentagon ist anderer Meinung«, warf Wilbur Curtis als Vorsitzender der Vereinten Stabschefs ein. »Die Flüge weißrussischer Kampfhubschrauber im litauischen Luftraum und die weißrussischen Truppenbewegungen – auch wenn sie unter GUS-Flagge stattfinden – sind sehr beunruhigend. Diese Truppenbewegungen sind nicht umfangreich, zumindest vorläufig nicht, aber…«
Außenminister Danahall schüttelte den Kopf. »General, der Stationierungsvertrag zwischen Litauen und der GUS gestattet die Anwesenheit von GUS-Truppen auf litauischem Boden.«
»Das weiß ich, Dennis«, wehrte Curtis ab. »Aber nach Meldungen der litauischen Streitkräfte an die Vereinten Nationen ist mehrmals gegen diesen Vertrag verstoßen worden – und das Gesamtbild, das sich daraus zusammensetzen läßt, ist beunruhigend.«
»Worauf wollen Sie hinaus, Wilbur?« fragte der Präsident.
General Curtis breitete die Hände aus. »Ich halte es für durchaus vorstellbar, daß Weißrußland – vielleicht sogar im Dienste der GUS – versuchen könnte, Litauen zu annektieren.«.
»Scheiße«, murmelte der Präsident. »Sind Sie ganz sicher?«
»Nein, das bin ich nicht, Sir«, gestand Curtis. »Aber verschiedene Beobachtungen, über die Ken Mitchell uns informiert hat, machen mir wirklich Sorgen.«
Der Präsident wandte sich an DCI Mitchell, der zustimmend nickte. »General Curtis’ Theorie ist durch einen Kontaktmann bestätigt worden, den wir in Moskau haben – außerhalb der GUS-Führung, aber mit ausgezeichneten Verbindungen. Boris Dwornikow, ein ehemaliger KGB-Abteilungsleiter, ist weiterhin eine sehr gute Quelle. Die Möglichkeit einer Annexion ist angesprochen worden …«
»Aber warum Weißrußland?« fragte der Präsident. »Das verstehe ich nicht!«
»Es muß nicht unbedingt ein Zusammenhang bestehen, Sir«, behauptete Curtis.
»Aber es gibt einen sehr starken historischen Zusammenhang«, wandte Mitchell ein. »Weißrußland – oder historisch richtiger: Belarus – und Litauen haben früher zusammengehört. Belarussisch ist sogar jahrhundertelang Amtssprache am litauischen Hof gewesen.
Damals haben Litauen und Belarus gemeinsam zu den mächtigsten Staaten Europas gehört.
Als Binnenstadt ist Weißrußland in bezug auf Ein- und Ausfuhren von anderen Ländern abhängig: Rußland, Litauen, Lettland und Polen. Weißrußland ist immer von Rußland beherrscht worden, wie jetzt von der GUS, die jedoch mehr auf die Bedürfnisse Rußlands und der Ukraine zugeschnitten ist, obwohl Minsk die neue GUS-Hauptstadt ist. Außerdem hat Weißrußland gewaltige Streitkräfte, die untätig herumsitzen, bis irgendein Einsatzbefehl von der GUS kommt.«
Der Präsident trommelte besorgt mit den Fingern auf dem Tisch.
»Dann ist der Angriff weißrussischer Kampfhubschrauber also der Vorbote einer richtigen Invasion?«
»Das weiß ich nicht, Sir«, antwortete Mitchell. »Die Untersuchungen der GUS wegen dieses Vorfalls sind bisher nicht abgeschlossen.
Also weiß niemand, ob die Hubschrauberpiloten ihre Befehle von Weißrußland oder der GUS bekommen haben. Das Problem liegt darin, daß ohnehin in beiden
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