Nachtflug Zur Hölle
zu Ärzten. Auch wenn sie ihm das ganze Bein abgesäbelt hätten, würde er mir irgendwann seine ganze Lebensgeschichte erzählen – bloß weil er mich für einen Arzt hält.«
»Hat er schon etwas preisgegeben Genosse General?«
»Hätte ich angefangen, ihn auszufragen, hätte ich ihn nur mißtrauisch gemacht«, stellte Gabowitsch fest. »Nein – aber er wird reden, wenn’s soweit ist. Er ist jung, hat Angst und muß damit rechnen, erschossen zu werden. Was bleibt ihm anderes übrig?«
»Wir machen also wie geplant weiter?«
»Richtig«, bestätigte Gabowitsch. »In fünf Minuten pumpen Sie Schlafgas in sein Zimmer – diesmal nur eine niedrige Dosis, Zwei Stunden später wecken Sie ihn auf. Er wird glauben, inzwischen sei bereits ein Tag vergangen. Sie nehmen ihn wieder in die Mangel, und danach komme ich vorbei, um mir anzuhören, was er zu sagen hat. Je naher sein ›Hinrichtungstag‹ rückt, desto gesprächiger dürfte er werden. In fünf, spätestens sechs Tagen haben wir ihn soweit, daß wir ihn verlegen können.«
»Verlegen?« wiederholte Teresow ungläubig. »Sie haben also noch immer vor, ihn ins Fisikus-Institut zu verlegen?«
»Selbstverständlich«, antwortete der General. »Luger hat Flugzeugbau studiert, ist in der Air Force Academy einer der Jahrgangsbesten gewesen, hat eine SAC-Spezialausbildung als Navigator und ist zuletzt ins High Technology Aerospace Weapons Center abkommandiert gewesen. Gelingt es uns, Luger umzudrehen, ohne seinen Intellekt zu beschädigen, kann er uns genügend Informationen liefern, um dem Fisikus in bezug auf neue Technologien im Flugzeugbau eine Spitzenstellung zu verschaffen. Das wird der Geheimdienst-Coup dieses Jahrhunderts! Damit kann das Fisikus selbst Konstruktionsbüros wie Suchoi oder Mikojan-Gurewitsch überholen.«
»Aber in Litauen herrschen allmählich bürgerkriegsähnliche Zustände«, wandte Teresow ein. »Die dortige Unabhängigkeitsbewegung erhält immer mehr Zulauf – und macht die Weltöffentlichkeit auf sich aufmerksam. Dadurch könnte das Fisikus-Institut gefährdet sein.«
»Das Fisikus geben wir nie auf«, stellte Gabowitsch fest. »Das würde die Partei nicht zulassen. Ich glaube nicht, daß wir die baltischen Staaten jemals räumen werden, aber selbst wenn wir’s täten, bliebe das Fisikus für immer Eigentum der Sowjetunion – wie das Hauptquartier der baltischen Flotte in Riga und der Stützpunkt für Bomber Tu-32 in Reval. Wir haben diese Einrichtungen gebaut, deshalb gehören sie uns für alle Zeiten.“
»Sind Sie bereit, alles auf diese Karte zu setzen. Genosse General?«
fragte Teresow. »Das Konstruktionsbüro Fisikus wird in ein paar Jahren nach Kaliningrad verlegt – war’s nicht besser, Luger dort unterzubringen oder gleich hier in Moskau zu lassen?«
»Es besteht doch gar keine Gefahr«, wehrte Gabowitsch ab. »Diese Unabhängigkeitsbewegung läuft sich irgendwann tot.«
Der General begeht einen Fehler, dachte Teresow, indem er die Verantwortung für seine eigene Sicherheit anderen Einheiten oder Organisationen überläßt. »Aber…«
»Sollten es die Umstände erfordern, kann Luger rasch verlegt werden – aber bis dahin gehört er nach Wilna«, sagte Gabowitsch nachdrücklich, »Nach Einschätzung höchster staatlicher Stellen sind Wilna und das Fisikus-Institut absolut sicher – schließlich ist der gesamte KGB-Apparat dorthin verlegt worden. Folglich brauchen wir uns über diesen Punkt nicht zu sorgen.«
»Ja, Genosse General.« Teresow wußte, daß sich Gabowitsch nicht mehr von seinem Entschluß abbringen lassen würde. »Was Luger betrifft…«
»Ab sofort kennt ihn nur noch ›Kaminski‹ unter diesem Namen«, unterbrach ihn Wiktor Gabowitsch. »In Zukunft trägt er seine Codebezeichnung Viereins-Schrägstrich-Zulu. Wir beginnen sofort mit dem Desorientierungszyklus. Sie wecken ihn in zwei Stunden zum ersten Verhör, geben ihm danach ein Schlafmittel und wecken ihn zwei Stunden später erneut. So muß er glauben, inzwischen sei wieder ein Tag vergangen. Nach zwölf Stunden fleht er uns an, ihn nicht zu erschießen – falls er so lange durchhält«, meinte Gabowitsch hämisch grinsend.
Nachtflug zur Hölle
1
An Bord der USS Valley Mistress vor der Küste der Republik Lettland
29. November, Jahre später, 00.23 Uhr Ortszeit
»Klar zum Teamstart«, befahl Luftwaffenoberst Paul White über die Bordsprechanlage. »An alle Decks, gleich geht’s los mit Rock ‘n’ Roll!« Kapitän zur See Joseph
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