Nachtflug Zur Hölle
entspannen«
Luger atmete schwer. Seine Augen waren vor Angst und Zorn geweitet, aber er schaffte ein Nicken. »Yeah… bloß keine Drogen.
Und wischen Sie mir dieses Zeug von der Oberlippe. Er hat versucht, mich zu betäuben, glaub’ ich.«
»Wie Sie wünschen«, wiederholte der Arzt und wischte die Mentholcreme ab, während er sich im Geiste weitere Notizen über seinen Patienten machte. Daß Luger wegen etwaiger Zusätze in der Creme besorgt war, bewies dreierlei: Er konnte klar denken, war bereits paranoid und malte sich sein »Schicksal« in düstersten Farben aus.
Das war gut, denn genau dorthin wollte ihn der Arzt bringen.
In Lugers Blick lag Dankbarkeit, als er ihm die Creme abwischte.
Dankbarkeit war der erste Schritt; Vertrauen würde der nächste sein.
Das Ganze war ein Aufbauprozeß, der manchmal allerdings langwierig war – je nach Charakter und Persönlichkeit des Betreffenden.
Dieser amerikanische Flieger… nun, es gab Hartnäckigere als ihn.
Beispielsweise enttarnte Spione. Aber irgendwann packten alle aus.
Vor allem, wenn sie ihrem Führungsoffizier vertrauten, wofür der Arzt zu sorgen hatte. Und wenn jemand unbelehrbar blieb…
»Ich werde versuchen, dabeizusein, wenn Major Teresow …« Der Arzt sprach nicht weiter. Sein Gesichtsausdruck verriet, daß er einen schweren Fehler gemacht hatte.
»Teresow? Major Teresow?« fragte Luger. Der Amerikaner lächelte jetzt. »Ist das sein Name? Teresow? Ist er beim KGB?«
»Darüber möchte ich lieber nichts sagen…«
»Ist er beim KGB?« wiederholte Luger.
»Seinen Namen haben Sie nicht von mir gehört«, sagte der Arzt.
»Nicht von mir, verstanden?«
»Keine Angst, von mir erfährt niemand was.«
Der Arzt wirkte erleichtert. Er streckte Luger seine Hand hin. »Ich bin Jerzy Kaminski.«
»Sie sind Pole?«
»Ja«, bestätigte der Arzt. »Aus Legnica – nahe der Grenze zur DDR. Vor fast fünf Jahren bin ich hierher nach Sibirien zwangsverpflichtet worden. ›Verschleppt‹ wäre das passendere Wort dafür.«
»David Luger, United States Air…« Der Amerikaner machte eine Pause, weil er merkte, daß er zuviel redete. Andererseits war der Arzt praktisch auch nur ein besserer Gefangener, und er mußte herausbekommen, ob er ihm vertrauen durfte. Außerdem schienen diese Leute bereits zu wissen, daß er bei der Luftwaffe war. »… Force«, schloß Luger. »Wir sind beide ziemlich weit von der Heimat entfernt, was?«
»Ich muß gehen«, sagte der Arzt. Er beugte sich mit Verschwörermiene über Lugers Bett. »Hier gibt’s keine… Wanzen, noch nicht, aber da Sie jetzt bei Bewußtsein sind, wird’s bald welche geben, so daß wir im Gespräch vorsichtig sein müssen. Ich bringe etwas mit, das unsere Stimmen tarnt.« Er blinzelte Luger schlau zu. »Das tue ich nicht zum ersten Mal.« Er hielt die Spritze hoch und entleerte sie gegen die Wand hinter dem Bett. »Stellen Sie sich schlafend, sonst wird jemand mißtrauisch. Ich will versuchen, Ihnen zu helfen. Nehmen Sie sich vor Teresow in acht. Trauen Sie keinem. Ich komme möglichst bald wieder. Seien Sie tapfer!« Dann verließ er rasch den Raum.
Nachdem der Arzt gegangen war, sank Luger in sein Krankenbett zurück. Er fühlte sich ausgelaugter als zuvor, aber er hatte nun einen Hoffnungsschimmer, an den er sich mit aller Macht klammerte.
Immerhin hatte er hier, mitten in Sibirien, einen Vertrauten, einen Mitverschwörer gefunden.
Aber stimmte das auch wirklich? Wie sollte er das jemals beurteilen können? Woher wußte er, daß das kein weiteres Täuschungsmanöver war? Luger, der fror und sich wie zerschlagen fühlte, war in den sechsundzwanzig Jahren seines Lebens noch nie so einsam – und unsicher – gewesen.
Vielleicht gab es doch noch eine Überlebenschance…
Wenig später betrat »Dr. Jerzy Kaminski« sein Dienstzimmer, in dem sich drei seiner Mitarbeiter in Zivil aufhielten. Teresow, der sich einen Kopfhörer ans linke Ohr drückte, saß an seinem Schreibtisch.
Als Kaminski – normalerweise als KGB-General Wiktor Gabowitsch bekannt – hereinkam, stand Teresow auf und nahm Haltung an.
»Wie hat’s geklappt, Genosse General?«
»Besser als erwartet«, antwortete General Gabowitsch und nahm seinen Platz ein, den Teresow frei gemacht hatte. »Der junge Idiot hat’s kaum erwarten können, mit mir zu reden. Er hat mir fast die Hand geküßt, als ich ihm versprochen habe, auf ihn aufzupassen. In ein bis zwei Tagen ist er reif. Amerikaner haben tatsächlich blindes Vertrauen
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