Nachtflug Zur Hölle
Auslandseinsätze und Rettungsunternehmen zur Unterstützung der National Command Authority und eigener Kommandobehörden in aller Welt. Es war eines von vier im Auftrage Whites für solche Aufgaben umgebauten Hochseeschiffen, die heimlich von der Intelligence Support Agency, den »Pannenhelfern« der CIA, betrieben wurden. Brauchte die CIA mehr Feuerkraft, ohne gleich militärische Unterstützung anfordern zu wollen, wandte sie sich an die Intelligence Support Agency. Wollte die ISA einen schwierigen Auftrag rasch und effektiv ausführen lassen, wandte sie sich an MADCAP MAGICIAN.
Obwohl die Volley Mistress jederzeit als Bergungsschiff eingesetzt werden konnte – sie hatte ihrer nichtexistierenden Reederei in Louisiana schon mehrere Millionen Dollar eingebracht, die das US-Finanzministerium als unerwarteten Bonus kassiert hatte –, war sie diesmal mit einem anderen Auftrag unterwegs. Dazu hatte sie ihr DSRV an den italienischen Frachter Bernardo LoPresti abgegeben, den die Intelligence Support Agency als Versorgungsschiff der Mistress gechartert hatte, und heimlich eine ganz andere Fracht an Bord genommen; sechs speziell ausgerüstete Frachtcontainer sowie das Kipprotorflugzeug CV-22 PAVE HAMMER für Sondereinsätze, das jetzt startbereit in der DSRV-Kammer stand.
Bei diesem Geheimauftrag ging es um die Rettung eines Offiziers – eines geborenen Litauers –, der einer hauptsächlich aus Weißrussen bestehenden Einheit der GUS-Armee in Litauen angehörte und der CIA monatelang Militär- und Staatsgeheimnisse verraten hatte. Er war enttarnt worden und sollte verhaftet werden. Um ihn zu ködern, hatten seine amerikanischen Partner ihm versprochen, ihn im Ernstfall irgendwie rauszuholen.
Nun war es soweit.
»Geben Sie mir PATRIOT, Carl«, sagte White zu Luftwaffenmajor Carl Knowlton, seinem Operationsoffizier. »Und weisen Sie die Zentrale an, noch etwas zu warten.«
Der Kommandant der Mistress sah und hörte zu, während White seine Befehle erteilte – obwohl Marchetti die Verantwortung für das Schiff und das Gesamtunternehmen trug, war das hier Whites Show.
»Klar, Boß«, antwortete Knowlton, bevor er die Anweisung an die Kommandozentrale weitergab. Im Einsatz verzichtete das Luftwaffenteam seit langem auf traditionelle militärische Umgangs formen.
Tatsächlich wäre es schwergefallen, die Männer an Bord als Soldaten zu erkennen: Sie trugen statt Uniformen zivile Arbeitskleidung, und manche hatten sogar langes Haar oder struppige Vollbärte. Ihre Dienstausweise lagen in dem geheimen Tresor im Maschinenraum und würden ihnen erst wieder ausgehändigt werden, wenn das Schiff in seinen Heimathafen Kittery, Maine, einlief.
Wenig später klingelte eines der Telefone auf der Brücke. Der Oberst nahm den Hörer selbst ab. »Brücke, White am Apparat. Wie sieht’s aus, PATRIOT?«
Aus dem Hörer drang das Knistern und Knacken einer abhörsicheren Funkverbindung: »Hier PATRIOT, Controller S-3. Radarbildbeschreibung folgt. Beschreibung enthält für den Einsatz wichtige Angaben.«
PATRIOT war ein AWACS-Flugzeug E-3B der NATO, das zwischen Polen und Schweden über der Ostsee kreiste. Das leistungsfähige Radar dieses Frühwarnflugzeugs konnte Hunderte von Flugzeugen und Schiffen in weitem Umkreis erfassen und ihre digitalisierten Daten an Whites Truppe auf der Valley Mistress übermitteln. Obwohl die DDR nicht mehr existierte, der Warschauer Pakt sich aufgelöst hatte und die Sowjetunion zerfallen war, kreiste weiter Tag und Nacht ein NATO-Überwachungsflugzeug an den Grenzen des früheren Ostblocks, ortete Flugzeuge und Schiffe hinter dem Horizont und stimmte diese Informationen mit zivilen und militärischen Dienststellen ab. Der kalte Krieg schien zwar vorbei zu sein, und doch stand in den neunziger Jahren Präsident Ronald Reagans berühmter Ausspruch »Vertrauen, aber verifizieren« als neues Motto über den Ost-West-Beziehungen.
Die politische Lage in der ehemaligen UdSSR war verworren, kompliziert und äußerst gefährlich. Die neue Gemeinschaft Unabhängiger Staaten (GUS) hatte 1992 die Nachfolge der Sowjetunion angetreten, aber die Neugründung war eher eine Ansammlung streitsüchtiger Minister als ein wirkliches Staatswesen. Die Rote Armee hatte sich entlang ethnischer oder religiöser Grenzen aufgelöst, aber diese ungleiche Teilung war destruktiv gewesen: Die russische Armee behielt die meisten ausgebildeten Techniker und fast alle Offiziere, aber niemanden, der «untergeordnete« Tätigkeiten
Weitere Kostenlose Bücher