Nachtflug Zur Hölle
die SEA HAMMER kommt erst in frühestens zwanzig Minuten.«
»Ich will nicht drängeln, Hauptmann«, sagte Ormack, »aber das wäre unsere große Chance. Die Litauer dort unten scheinen das gesamte Institut besetzt zu haben, und die MV-22 trifft verspätet ein. Wir brauchen nicht einmal Unterstützung durch Ihre Marines.«
»Ach, wirklich?« knurrte Snyder. »Ihr seid schon Fachleute für Kommandounternehmen, was?«
»Ich versuche nicht, Sie zu belehren, Hauptmann«, antwortete Ormack gelassen. »Ich sage nur, daß wir bereit sind, das Risiko auf uns zu nehmen. Sie haben alles wichtige Material aus diesem Gebäude in den Taschen dort drüben – und REDTAIL HAWK im Erdgeschoß in Gewahrsam.«
»Sie bilden sich also ein, ich lasse Sie auf eigene Faust losziehen, weil ich nicht für Sie verantwortlich bin und mich nicht um Sie zu kümmern brauche, was?« fragte Snyder scharf. »Aber ich bin für Sie verantwortlich, verdammt noch mal! Ich bin für jeden meiner Männer verantwortlich. Sollte einer von Ihnen durch meine Schuld umkommen, werde ich vors Kriegsgericht gestellt. Und das soll ich wegen eines dämlichen Flugzeugs riskieren?«
Snyder holte tief Luft und starrte die beiden Luftwaffenoffiziere eisig an, bevor er sagte: »Sie setzen die Durchsuchung des Gebäudes fort und nehmen alles brauchbare Material mit. Bis Sie fertig sind, kommt hoffentlich die SEA HAMMER, um uns rauszuholen. Vielleicht laden die Litauer Sie später ein, das Flugzeug zu besichtigen.
Aber mir geht’s vor allem um meine Leute. Mit nur zweiunddreißig Mann wären wir beim ersten Gegenangriff erledigt. Eine einzige Bombe würde schon reichen …«
Der Hauptmann wandte sich ab, übergab das große Funkgerät seinem Kompaniechef und hastete die Treppe hinunter. Ormack und McLanahan folgten ihm.
In der Eingangshalle saßen die beiden Litauer mit den Gesichtern zur Wand und gefesselten Händen und Füßen auf Holzstühlen. Ein Marineinfanterist untersuchte ihr Handfunkgerät und notierte sich die gespeicherten Frequenzen. Sergeant Haskell stand als Dolmetscher bereit. Gunnery Sergeant Trimble begutachtete die Dienstausweise der beiden Soldaten; als die drei Offiziere herankamen, übergab er sie Snyder. »Haskell?«
»Wir haben kein Bild von Palcikas, Sir«, meldete Haskell. »Ich schlage vor, daß wir uns von der Botschaft eines faxen lassen.«
Snyder hob sein Handfunkgerät an die Lippen. »Bob, rufen Sie unsere Botschaft, damit sie uns ein Foto des litauischen Generals Dominikas Palcikas zufaxt. Ende.« Mit dem eingebauten Faxmodem konnte das große Funkgerät PRC-11ED Faxe über kleinere Entfernungen direkt und über Satellit weltweit senden und empfangen.
»Was wissen wir über Palcikas?« fragte Snyder den Sergeanten.
»Eigentlich nur Name, Alter und Dienstgrad«, meldete Haskell.
»Nach unseren Unterlagen hat Litauen gar keine richtige Armee.
Höchstens zweitausend Mann, Infanteriebewaffnung, ein paar MTWs. Keine Flugzeuge, Panzer, Geschütze oder Flak. Vor allem Wachdienst, aber auch Grenz- und Personenschutz.«
Snyder nickte Trimble zu, der den Stuhl des Generals herumdrehte, so daß Palcikas nicht mehr die Wand anstarrte. Auf dem müden, schmutzigen Gesicht des Litauers stand ein schwaches Lächeln. »Verstehen Sie Englisch, Sir?«
»Ja. Wenig«, antwortete Palcikas. Er sah die dunkelblauen Hauptmannsspangen an Snyders Kragen, betrachtete ihn prüfend und lächelte etwas breiter. »Sie sind der Kommandant?«
Snyder ignorierte seine Frage. »Sir, wie viele Soldaten haben Sie hier im Fisikus-Institut?« wollte er wissen.
»Sie sagen ›Sir‹ mit wenig Respekt in der Stimme, junger Hauptmann« stellte Palcikas fest. »Sie müssen amerikanische Marineinfanteristen sein.« Sein Englisch war nicht besonders gut, aber der Fun-386
ker, der noch immer mit dem Gesicht zur Wand dasaß, half ihm bei der Übersetzung. »Ich habe vier Bataillone gehabt – ungefähr dreitausendfünfhundert Mann. Zwei Bataillone ausgefallen. Habe jetzt umgruppiert in drei Bataillone zu achthundert Mann.«
»Großer Gott!« sagte Snyder. Auch er hatte etwa ein Drittel seiner Truppe verloren – aber die Verluste dieses Mannes waren hundertmal höher gewesen… Er gab sich einen Ruck und fragte weiter:
»Welches Angriffsziel verfolgen Sie hier?«
»Das Fisikus wird mein Hauptquartier, falls wir angegriffen werden«, erklärte ihm Palcikas mit Hilfe seines Funkers. »Mein Hauptquartier Trakai ist nicht gut gegen Luftangriffe. Fisikus ist sehr gut,
Weitere Kostenlose Bücher