Nachtflug Zur Hölle
Palcikas erteilte seinem Funker einen kurzen Befehl und wandte sich dann an Ormack und die anderen Luftwaffenoffiziere. »Und was ist mit unseren namenlosen Spionen? Fahren Sie mit den Marines – oder möchten Sie den Rest des Instituts besichtigen? Wie ich höre, steht in der östlichen Halle ein phantastischer Vogel. Denke ich richtig, daß Sie seinetwegen hergekommen sind?«
Ormack schien das Angebot annehmen zu wollen, aber Snyder, der bereits über Funk mit seinem Kompanieoffizier auf dem Gebäudedach sprach, wehrte ab: »Nein, General, diese Gentlemen kommen mit uns.«
Palcikas zuckte mit den Schultern und wandte sich wieder an Ormack: »Seien Sie unbesorgt, General – und ich weiß, daß Sie ein General sind, auch wenn dieser junge Hauptmann Ihnen Befehle geben kann –, ich kümmere mich gut um den Vogel, und mein Stab macht ein paar hübsche Aufnahmen von ihm. Vielleicht erscheinen sie schon nächste Woche in den größten Luftfahrtzeitschriften?«
Oval Office im Weißen Haus, Washington D. C.
12. April, 21.57 Uhr (13. April, 03.57 OEZ)
Geht in der Nachrichtenzentrale des Weißen Hauses ein Anruf aus dem Ausland ein und wird vom Präsidenten der Vereinigten Staaten angenommen, ist er keineswegs allein, wenn er den Hörer abnimmt und »Hallo!« sagt. Solche Anrufe werden im allgemeinen erst nach ein paar Minuten – nicht mehr als drei bis vier – durchgestellt, während sich eine ganze Expertengruppe darauf vorbereitet, das Gespräch mitzuhören.
Bei diesem Anruf aus der weißrussischen Hauptstadt Minsk wurden rasch ein Dolmetscher und eine Dolmetscherin an nicht aufspürbare »tote Nebenstellen« gesetzt: einer für Russisch, die andere für Weißrussisch. Der Russischdolmetscher, ein Marineoffizier im Stab des Weißen Hauses, war dem Sicherheitsberater des Präsidenten unterstellt und schon während der Vorbereitungen des Unternehmens in Wilna in Alarmbereitschaft versetzt worden. Die Dolmetscherin für Weißrussisch, eine Mitarbeiterin des Außenministeriums, war erst kurz vor Beginn des Unternehmens angefordert worden – als abzusehen war, wer anrufen würde.
Außer den Dolmetschern waren auch Ingenieure zugeschaltet, um mit leistungsfähigen Computern die Verbindung zu analysieren, den Ausgangspunkt dieses Anrufs festzustellen und möglichst zu ermitteln, wie viele Ohrenpaare am anderen Ende zuhörten. Zu den übrigen Fachleuten gehörten Psychologen, deren Aufgabe es war, den Streß in der Stimme des Anrufers zu analysieren und festzustellen, ob er ehrlich oder verschlagen, unnachgiebig oder kompromißbereit war; weiterhin gehörten dazu Geheimdienstleute, die den Anrufer und etwaige Stimmen im Hintergrund identifizieren sollten, und natürlich Berater des Präsidenten, in diesem Fall mehrere Mitglieder des Nationalen Sicherheitsrats, die an »toten Nebenstellen« mithörten, damit sie nicht ihrerseits gehört und entdeckt werden konnten.
Als sein Stabschef ihm meldete, alle seien bereit, drückte der Präsident auf den Knopf, der die Verbindung herstellte, und meldete sich…
… woraufhin Pawel Borisowitsch Swetlow, der weißrussische Präsident, in seiner Muttersprache loslegte. Die Lautstärke wurde elektronisch heruntergeregelt, und die Dolmetscherin übersetzte fast simultan: »Mr. President, warum helfen Sie diesen litauischen Terroristen? Warum haben Sie amerikanische Marineinfanteristen nach Wilna entsandt?«
Auf der linken Seite des Bildschirms auf dem Schreibtisch des Präsidenten stand die fast in Echtzeit erstellte Übersetzung, während rechts Kommentare seiner Mitarbeiter erschienen. Er dürfte beim Terroristen-Gambit bleiben, tippte einer der Psychologen ein. Könnte leicht angetrunken sein, vermutete ein anderer. Er ist dazu veranlaßt worden, »Terroristen« zu sagen, schrieb ein CIA-Offizier. Von wem?
»Falls Sie den Einsatz in der US-Botschaft meinen, Präsident Swet-390
low«, sagte der Präsident der Vereinigten Staaten, »haben wir von Präsident Kapocius schon vor mehreren Tagen eine Überfluggenehmigung für unsere Flugzeuge erhalten. Der Ministerrat der Gemeinschaft Unabhängiger Staaten ist telegrafisch von unserem Antrag auf Überfluggenehmigung unterrichtet worden.« Das war eine leichte Verdrehung der Tatsachen, denn in Wirklichkeit war das Telegramm erst vor ungefähr einer halben Stunde abgeschickt worden. »Von irgendwelchen terroristischen Aktivitäten in Litauen ist mir nichts bekannt.«
»Letzte Nacht sind zahlreiche GUS-Stützpunkte überfallen
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