Nachtflug Zur Hölle
weitergegeben hatte, fragte Woschtschanka: »Was meldet die Siebte Division aus Kaliningrad?«
»Die Besetzung geht weiter, General«, sagte der Stabschef nach einem Blick in seine aus eingegangenen Funksprüchen zusammengestellten Notizen. »General Gurwitsch und die Zwanzigste Amphibienbrigade haben das Oberkommando der russischen Flotte besetzt und den Kriegshafen abgeriegelt; die Dreiunddreißigste Panzerbrigade kontrolliert den Marinefliegerstützpunkt Proveren. Unsere Flugzeuge haben ein Kriegsschiff, das auslaufen wollte, angegriffen und schwer beschädigt. Die übrigen Schiffe liegen an den Kais – bis auf drei, die wie von Ihnen befohlen das Fahrwasser durch die Kaliningrader Bucht sperren.
Fast alle Kriegsschiffe sind nur zu einem Drittel, höchstens zur Hälfte bemannt. Große Teile der Besatzungen halten sich in den Unterkünften oder außerhalb des Kriegshafens auf, weil sie nicht wissen, was zu tun ist. Dadurch haben unsere Truppen mehr Bewegungsfreiheit, die sie nutzen, um rasch in Position zu gelangen.
Rundfunk und Fernsehen in Kaliningrad unterstehen unserer Kontrolle. Die Einwohnerschaft scheint zunächst abwarten zu wollen.«
General Woschtschanka nickte. Diese abwartende Einstellung war teuer genug erkauft. Für ihr Stillhalten hatten die Kommandeure des Kriegshafens Kaliningrad und des Marinefliegerstützpunkts Proveren miteinander nahezu eine Viertelmillion Dollar kassiert. Daß der Militärflugplatz Tschernjachowsk in Flammen stand, lag auch daran, daß für die Bestechung seines Kommandeurs kein Geld mehr dagewesen war, so daß die Russen dort Widerstand geleistet hatten.
Aber das Geld war gut angelegt.
Sein im Kaliningrader Gebiet angelaufenes Unternehmen war nicht in erster Linie darauf angelegt, einen überwältigenden Sieg zu erringen; Trotz der ihm von General Gabowitsch zugesicherten Unterstützung und Zusammenarbeit hegte Woschtschanka keine Illusionen in bezug auf die militärische Macht Rußlands. Aber es war notwendig, die Russen im Kaliningrader Gebiet in den Clinch zu nehmen, sie zu blockieren und strategische Geländegewinne zu erzielen, um dann aus einer Position der Stärke heraus verhandeln zu können. Rußland und der Gemeinschaft Unabhängiger Staaten fehlte es an Geld und Begeisterung für einen Krieg; Belarus dagegen hatte nichts zu verlieren.
Im Kaliningrader Gebiet konnte Woschtschanka Sieger bleiben, wenn es ihm gelang, wichtige Eroberungen zu machen, ohne als blutrünstiger Schlächter dazustehen.
Aber in Litauen sah die Sache anders aus. Dort mußte er Dörfer und Städte besetzen, Landgewinne erzielen und sich so schnell wie möglich festsetzen. Die Welt würde nicht endlos lange in ihrer Erstarrung verharren: Sie würde irgendwann reagieren – womöglich mit dem Beschluß, die weißrussischen Truppen aus Litauen zu verjagen. Darum mußte Woschtschanka seine Siege rasch konsolidieren und danach beweisen, daß jeder Versuch, ihn aus Litauen zu vertreiben, Litauen wesentlich mehr schaden würde als Belarus…
Der wichtigste Teil seines Bedrohungspotentials waren die Kurzstreckenraketen SS-21 SCARAB, die jetzt im Norden Weißrußlands in Stellung gebracht wurden. Diese kleinen Atomraketen auf fahrbaren Abschußrampen waren sein Schlüssel zum Erfolg. Die drei Rampen mit den an Woschtschanka Übergebenen Atomsprengköpfen standen unter schwerer Bewaffnung an einem geheimgehaltenen Ort, und die übrigen wurden auf verschiedene Startplätze im Norden verteilt. Ihre Dislozierung war zweifellos wichtig, aber noch wichtiger war eine ständige Funkverbindung zu allen Startplätzen.
»Ich brauche sofort einen Bericht über die Verteilung der SS-21«, ordnete Woschtschanka an. Es war riskant, solche Angaben über Funk einzuholen, aber die Geschwindigkeit seines weiteren Vormarschs und der Inhalt der Mitteilung, die Präsident Pawel Swetlow auf seine Anweisung der Weltöffentlichkeit machen würde, hingen von der planmäßigen Aufstellung dieser Raketen ab. »Fordern Sie die Daten verschlüsselt an, sobald wir in Reichweite sind.«
»Das sind wir erst in fast einer Stunde, General – in der Nähe des Marinestützpunkts Lida«, wandte sein Stabschef ein. »Auf größere Entfernungen ist die Verbindung nicht mehr abhörsicher.«
»Gut«, sagte Woschtschanka, »aber ich brauche den Bericht so bald wie möglich.« Je schneller meine Abschußrampen in den Wäldern versteckt sind, dachte er, desto schneller kommt meine Invasion voran.
Über dem Nordwesten
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