Nachtflug Zur Hölle
tiefer, bis sein Radarhöhenmesser auf Null stand.
Brown hastete dabei von einem Fenster zum anderen, um die Position des Flugzeugs zu kontrollieren. »Rumpf im Wasser«, meldete er. »Nicht weiter nach links, sonst kommen wir in die Bäume.«
»Er lief auf die andere Seite hinüber, wo der Rotorabwind das Wasser des schmalen Flusses weiß aufschäumen ließ. »Rechts wirbeln wir ziemlich viel Schaum auf – den werden sie aus der Luft sehen.«
Vielleicht ist das Versteckspielen doch keine so gute Idee gewesen – womöglich müssen wir uns hier rauskämpfen.
»Wir haben die Stinger- und Waffenbehälter, Marty. Ich hab’ das Flugzeug und den Stinger-Behälter; du übernimmst die Kanone. Und sieh nach, ob unsere ECM und die Störsender aktiviert sind.« Watanabe machte ihre beiden Waffenbehälter einsatzbereit, und Fell klappte das Stinger-Visier seines Helms herunter, dessen gelber Zielkreis ihm das jeweilige Blickfeld der Fla-Raketen zeigte. Inzwischen hatte Watanabe die Radarstörsender und das Infrarotstörsystem ALQ-136 aktiviert, das unsichtbare Energiebündel nach allen Seiten aussandte, um Jagdraketen mit Infrarotsuchkopf wie die russische ATOLL vom Kurs abzubringen.
Die anfliegenden Jagdbomber waren jetzt deutlich zu sehen, und Fell wurde bewußt, wie verwundbar, wie deutlich sichtbar er war. Ein Blick auf dem schmalen Fluß Nemas, und wenn er aus dem linken Seitenfenster sah, konnte er beobachten, wie seine Rotorblätter die Zweige der Uferbäume wie im Sturm bewegten. Beides glich riesigen Leuchtzeichen, die geradewegs auf sie deuteten. Dieser Flug bei Tageslicht wuchs sich allmählich zu einem Alptraum aus. Fell dachte einen Augenblick an die zweite CV-22, die von der Valley Mistress gestartet war, um Smorgon über Nordlitauen und Südwestrußland zu erreichen, und konnte nur hoffen, daß sie es leichter hatte.
»Besatzung, Achtung!« sagte Fell warnend, als die weißrussischen Jagdbomber näher und näher herankamen. »Gleich wird’s spannend!«
Heeresfliegerstützpunkt Smorgon,
Republik Weißrußland 13. April, 09.47 Uhr Zu den belebtesten Teilen des Stützpunkts Smorgon gehörte an diesem Morgen das Tanklager. Anders als sonst waren von den sechs Abgabestellen nur zwei geöffnet, an denen jeweils etwa drei Dutzend Tankwagen standen, die lange warten mußten. Die eine Kolonne tankte Kerosin für Flugzeuge und Hubschrauber, die nicht übers Unterflurtanksystem des Platzes betankt werden konnten, und die andere holte Dieseltreibstoff für die vielen Lastwagen und Generatoren des Stützpunkts und der nach Litauen entsandten Einheiten. Bei ihrem Einmarsch in Litauen führte die Heimatbrigade der weißrussischen Armee zur Versorgung ihrer LKW-Kolonnen fast hundert Tankwagen mit.
Normalerweise bestand das Bedienungspersonal des Tanklagers aus zwei Zügen Soldaten, aber die meisten dieser Männer waren nach und nach zu den LKW-Kolonnen abkommandiert worden, so daß nur eine Handvoll Personal übrigblieb und die Tankwagenfahrer die Füllarbeiten selbst vornehmen mußten. Deshalb war der Stabsfeldwebel, dem das Tanklager unterstand, angenehm überrascht und erleichtert, als sich eine LKW-Ladung Soldaten zur Arbeit im Tanklager bei ihm meldete.
»Ausgezeichnet!« sagte Stabsfeldwebel Paschuto zu dem Unteroffizier, der die Gruppe führte. »Als erstes können deine Leute die Fahrbefehle der Tankwagenfahrer kontrollieren, damit sie nach dem Tanken zügig abgefertigt werden können.«
Der junge Unteroffizier nickte wortlos, grüßte knapp und ging davon. Nicht sehr gesprächig, sagte sich Paschuto, aber dies war die erste Ehrenbezeugung, die jemand ihm seit Wochen erwiesen hatte, und einen weiteren Schwätzer konnte er hier ohnehin nicht brauchen.
Nach dem Eintreffen des 15köpfigen Arbeitskommandos klappte das Tanken so gut, daß Paschuto sogar Zeit für ein zweites Frühstück in der Kantine hatte. Als er in die Dienstbaracke zurückkam, legte der junge Unteroffizier ihm einen ganzen Stapel ausgefüllter Tankbelege vor. »Gut gemacht«, sagte Paschuto anerkennend und ging daran, die Belege abzuzeichnen. »Aber ich konnte dich nicht nur heute brauchen. Wie heißt dein Kommandeur? Vielleicht kann ich erreichen, daß du hierher abkommandiert wirst.«
»Vielen Dank«, antwortete der Unteroffizier in schwer verständlichem Weißrussisch. Er sprach langsam und unbeholfen, als sei er geistig ein bißchen zurückgeblieben – was absolut nicht zu seinen Leistungen paßte. «Mein Kommandeur heißt
Weitere Kostenlose Bücher