Nachtflug Zur Hölle
Heimatbrigade und weitere Panzerkolonnen geworden waren, mußte es sich um russische oder GUS-Bomber gehandelt haben, denn aus Westen waren keine Einflüge in den litauischen Luftraum gemeldet worden. Das hieß wiederum, daß sie aus Rußland oder der Ukraine stammen mußten, denn nur diese beiden Staaten besaßen schwere Bomber.
»Hat Kurenez die neuen Ziele schon bestätigt?« fragte General Woschtschanka.
Sein Kommandeur der Raketentruppen sah sich hilfesuchend um.
Die anderen Stabsoffiziere schwiegen jedoch – sie würden ihm nicht den Rücken stärken. Trotzdem wollte er dazu nicht einfach schweigen. »Die neuen Ziele sind bestätigt, General, und die Richtfunkverbindung ist störungsfrei.«
»Gut. Dann lassen Sie…«
»Aber ich gestatte mir, nochmals meine Bedenken vorzutragen, General. Matschulische, das Ziel einer unserer Atomraketen, liegt keine fünf Kilometer von Minsk entfernt. Selbst ein Volltreffer könnte große Teil der Stadt in Trümmer legen und Zehntausende von Todesopfern fordern. Sollte die Rakete jedoch ihr Ziel verfehlen …
General, das könnte katastrophale Folgen haben!«
»Gennadij Fedorowitsch, Matschulische ist der größte GUS-Stützpunkt… nein, der wichtigste russische Stützpunkt in ganz Weißrußland« stellte Woschtschanka fest. »Rußland hat dort zwanzigtausend Mann, gut zwei Dutzend Jäger und hundert Kampfhubschrauber stationiert.«
»Von denen bisher noch keiner eingesetzt worden ist, General. Sie sind nicht mal alarmiert worden!«
»Das kann sich schnell ändern«, wandte Woschtschanka ein.
»Moskau will Einsätze schwerer Bomber über Weißrußland weder bestätigen noch dementieren – angeblich wird noch ermittelt. Das ist unannehmbar. Völlig unannehmbar!«
»Trotzdem ersuche ich Sie dringend, eine Bestätigung abzuwarten, bevor Sie einen GUS-Stützpunkt angreifen, General. Sollten Sie sofort angreifen wollen, bietet sich eine Rakete mit herkömmlichem Sprengkopf an. In Matschulische stehen die Flugzeuge und Hubschrauber ungeschützt im Freien – da genügt ein einziger Sprengkopf, um großen Schaden anzurichten.«
»Wenn er genau trifft. Aber wir wissen beide, daß die SS-21 keine Präzisionswaffe ist. Vor allem nicht mit ihrem herkömmlichen Gefechtskopf.«
Der viel schwerere herkömmliche Sprengkopf der SS-21 halbierte die Höchstreichweite und verringerte zugleich die Treffsicherheit. Im Gegensatz dazu steigerte das leichtere, modernere Führungssystem des Atomsprengkopfs KR-11 die Reichweite der SS-21 um zwanzig Prozent auf fast zweihundert Kilometer – bei weniger als zweihundert Meter Streuung.
»Dann beschießen wir den Stützpunkt mit einer ganzen Salve«, schlug der Kommandeur vor. »Zwölf Raketen aus Baranowitschi oder Kurenez zerstören alle Flugzeuge und Hubschrauber und die meisten Wartungseinrichtungen. Oder wir greifen mit unseren Flugzeugen aus Lida an. Aber eine Atomrakete…« Er zögerte, als finde er die Idee unvorstellbar. »General, Sie müssen Ihre Entscheidung überdenken, bevor…«
Er wurde von einem durchdringend laut schrillenden Telefon unterbrochen. Woschtschanka sah stirnrunzelnd zu seinem Operationsoffizier hinüber, der den Hörer abnahm.
»Fliegeralarm, General!« meldete der Stabsoffizier. »Mehrere Flugzeuge im Tiefflug, ungefähr zwanzig Kilometer entfernt, bisher nicht identifiziert.«
Der Fliegerführer griff nach dem Telefon, das ihn mit dem Kommandeur der hier auf dem Platz stationierten Fliegerdivision verband. Nachdem er kurz zugehört hatte, konnte er berichten: »Unser Radar hat die Ziele kurz erfaßt – vermutlich Hubschrauber, die im Tiefflug über die Grenze geflogen sind. Eben startet die neunzehnte Staffel, um sie abzufangen.«
Während er sprach, wurde von Smorgon aus ein roter Block, der wie ein Hubschrauberrotor mit fünf Blättern aussah, nach Westen verschoben – eine kombinierte Staffel aus sechs Kampfhubschraubern Mi-24, die das Kommandounternehmen der Marines überstan-501
den hatten, dazu einige Jagdbomber MiG-27 von anderen Stützpunkten im Norden Weißrußlands.
Woschtschankas ursprünglicher Zorn und seine Frustration legten sich etwas, Ja, sie hatten einen Rückschlag hinnehmen müssen; gewiß, sie hatten in sehr kurzer Zeit verdammt viele Panzer und Fahrzeuge verloren. Aber jetzt nahm er sich einen Augenblick Zeit, um zu überblicken, was ihm dort draußen geblieben war – eine noch immer imposante Streitmacht.
Obgleich Wilna und Kaunas, die beiden größten litauischen Städte,
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