Nachtflug Zur Hölle
daß er seine Knöpfe und Schalter aktivierte, sobald sie aufgerufen wurden. Nach wenigen Minuten war die Liste abgehakt.
»Okay, jetzt sind wir fertig. Um loslegen zu können, brauche ich bloß auf den BOMBEN-Knopf zu drücken und die Schalter nochmals zu kontrollieren. Ab jetzt fliegen wir Ausweichmanöver, bis der Abwurfpunkt erreicht ist.«
Sie passierten den Wendepunkt, an dem sie auf Kurs zum Abwurfpunkt hätten gehen müssen, aber Oserow drehte nicht ein.
»Wendepunkt vor fünf Kilometern«, meldete der Pilot.
»Zu früh«, sagte Oserow. »Der Autopilot fliegt nur Kurven mit fünfzehn Grad Schräglage. Aber der Kurvenradius ist dann viel zu groß – damit machen wir bloß unnötig viele Gegner auf uns aufmerksam. Im Zielanflug gibt’s nur enge Kurven.« Er griff nach den Leistungshebeln auf der Mittelkonsole und schob sie bis zum Anschlag nach vorn. »Und wir fliegen mit Höchstleistung… Schluß mit diesen beschissenen zehn Kilometern pro Minute!« Oserow wartete, bis der Wendepunkt fast zehn Kilometer hinter ihnen lag, und legte den riesigen Bomber dann in eine 40 Grad steile Rechtskurve.
Durch ihre Flügel mit überkritischem Profil verlor die Maschine Auftrieb und dadurch Höhe – aber genau das hatte Oserow gewollt.
Als er auf ihrem neuen Kurs in die Normalfluglage zurückkehrte, fing er die Fi-170 nur 100 Meter über Grund ab.
»Höheres Gelände, ein Uhr, zwölf Kilometer«, meldete Oserow.
»Jetzt bedeuten Geländewarnungen wenigstens etwas!« Die beiden russischen Piloten starrten angestrengt nach vorn und versuchten, Hügel, Gebäude, Sendetürme und sonstige Hindernisse zu erkennen.
Warum sie das taten, blieb Oserow verborgen, denn draußen war es stockfinster…
Nein, nicht ganz finster. Im nächsten Augenblick erkannten sie die Scheinwerfer einer Lastwagenkolonne auf der M7, der in Ost-West-Richtung verlaufenden Fernstraße zwischen Baranowitschi, der Kleinstadt Slutsk und der Großstadt Bobruysk. Bei gleichbleibendem Kurs hätten sie die M7 in spitzem Winkel überquert, aber Oserow änderte ihn unbewußt ab, bis sie parallel zur Fernstraße flogen, und ließ den Bomber auf nur 80 Meter über Grund sinken. Die Scheinwerfer der nach Osten fahrenden Lastwagen wurden heller und heller; die LKWs waren schon so nahe, daß man sich einbilden konnte, die Fahrer und Beifahrer zu erkennen…
»Sie sind in nur achtzig Meter Höhe, Oserow«, warnte der Pilot ihn nervös – und sorgte zugleich dafür, daß der Recorder seinen Einspruch aufzeichnete. »Und Sie halten genau auf diese Lastwagen zu.«
»Nein, ich bin mindestens hundert Meter nördlich der Straße«, behauptete Oserow. Vielleicht nicht ganz, aber was sind ein paar Meter unter Freunden? »Vielleicht können wir die verschlafenen LKW-Kutscher ein bißchen aufschrecken.« Der Pilot starrte wieder ängstlich nach vorn, aber der Copilot nickte Oserow grinsend zu. Er genoß diesen aufregenden Tiefstflug sichtlich!
Genau wie IR-300…
Die Erinnerung daran war plötzlich da.
Ja, das hier hätte die IR-300 sein können — eine Tiefflugstrecke, die sich durch Oregon und Nordkalifornien schlängelte, um bei Wilder, Idaho, zu enden. Eines der letzten Teilstücke war nur fünf Meilen von der Autobahn nach Boise entfernt, und obwohl sie außerhalb des vier Meilen breiten Korridors für IR-Flüge lag, hatten manche Besatzungen ihren Spaß daran, heimlich hinüberzufliegen, sehr tief hinunterzugehen und ein paar Fernfahrer zu erschrecken. Häufig benutzt wurde die IR-300 als Übungsstrecke von Bomberbesatzungen, die auf der Ford Air Force…
»Oserow? Sie sind schon fast am Rand des Korridors!«
Oserow ging etwas höher und kurvte steil in Richtung Ziel ein.
»Entschuldigung. Ich hab’ nur… ans nächste Ziel gedacht.«
»Habt ihr gesehen, wie der eine Lastwagen beinahe von der Straße abgekommen ist?« fragte der Copilot aufgekratzt, ohne an den Recorder zu denken. »Bestimmt muß jetzt der Beifahrer ans Steuer, damit der Fahrer die Hose wechseln kann!«
»Suchradar bei zwei Uhr«, meldete der Flugingenieur. »Radarstellung Neswisch. In dieser Höhe kann sie uns nicht erfassen. Soll sie uns auf den Schirm bekommen, müssen wir unseren Transponder einschalten.«
»Fünf Sekunden lang einschalten«, wies Oserow ihn an. »Das genügt für eine Ortung. Mich interessiert, ob das Radar uns danach wiederfindet.«
»Sender aktiviert, elf Uhr!« rief der Flugingenieur. Techniker des Fisikus-Instituts hatten an verschiedenen Punkten ihrer
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