Nachtflug Zur Hölle
Ihnen jetzt sage, denn es wird Ihnen das Leben retten.
Sie sind Oberleutnant David Luger, nicht Dr. Iwan Sergejewitsch Oserow. Oberleutnant David Luger. Sie sind ein amerikanischer Offizier aus Amarillo, Texas, kein russischer Wissenschaftler. Die amerikanische Regierung weiß, daß Sie hier sind, und will Sie rausholen. Hören Sie den Namen Iwan Sergejewitsch Oserow, denken Sie in Zukunft: ›God bless America.‹ Merken Sie sich das! Bei Ihrem falschen Namen Iwan Sergejewitsch Oserow denken Sie immer: ›God bless America.‹«
Luger berührte mit einer Hand seine linke Schläfe, als habe er starke Schmerzen – oder sei völlig verwirrt. Er starrte Jonzcich verständnislos an. »Aber wie können Sie…?«
»Kein Wort mehr!« flüsterte der ISA-Agent. »Fordern Sie mich auf, hier aufzuwischen, während Sie sich ein neues Frühstück holen. Und seien Sie bereit! ›God bless America.‹«
Würde Luger das tun? Jonzcich war sich darüber im klaren, daß dies der kritischste Punkt, der entscheidende Augenblick seines Einsatzes war. Luger war hier seit Jahren gefangen und unter Umständen bereits so umerzogen und gefügig, daß er seinem Führungsoffizier Gabowitsch alles erzählen würde. Falls Luger es mit der Angst zu tun bekam und dem KGB von Jonzcich erzählte, hatte der ISA-Agent womöglich keine Stunde mehr zu leben.
Aber Jonzcich hatte das wache Aufblitzen in Lugers Blick gesehen … Er hatte jedenfalls getan, was ihm aufgetragen worden war.
Jonzcichs Auftrag im Fisikus-Institut war erledigt.
Luger richtete sich auf und sagte laut und deutlich auf russisch:
»Wischen Sie das bitte für mich auf.« Er wandte sich ab und ging in Richtung Frühstückstheke davon.
Auftrag ausgeführt.
Konstruktionsbüro Fisikus, Sicherheitstrakt
28. März, 09.35 Uhr
General Wiktor Gabowitsch betrat David Lugers Zimmer im Sicherheitstrakt des Instituts. Das ganze Obergeschoß war umgebaut worden und glich jetzt einem Stockwerk in einem typisch russischen Wohnblock – mit billigen Wandverkleidungen, einer »Etagenmutter«, die als Hausmeisterin für alle Mieter ihres Stockwerks fungierte, und einem Gemeinschaftsraum. Luger mußte glauben, er lebe wie seine Nachbarn – ebenfalls Wissenschaftler – in normalen russischen Wohnungen. Tatsächlich gab es hier oben jedoch keine weiteren Mieter. Die anderen Wohnungen enthielten Horchposten, das Kontrollzentrum zur Überwachung Lugers und zur Steuerung seiner Aktivitäten sowie medizinische Einrichtungen, in denen seine Gehirnwäsche fortgesetzt wurde.
Als Gabowitsch kam, saß Luger in einem Sessel am Fenster. Der schwere Eisenrolladen war geschlossen, so daß nur schmale Lichtstreifen ins Zimmer fielen. »Guten Morgen, Iwan Sergejewitsch«, sagte der General freundlich, »wie geht es Ihnen heute, mein Freund?«
»Der Rolladen klemmt«, beschwerte Oserow sich. »Er läßt sich nicht offnen.«
Obwohl Luger einen Rolladengurt im Zimmer hatte, wurde der Rolladen in Wirklichkeit von einem Offizier im Kontrollzentrum hochgezogen oder herabgelassen. Heute würde er geschlossen bleiben, bis die Demonstration in Denerokin vorbei war. Luger würde auch feststellen, daß sein Fernsehempfang gestört war, so daß er keine Berichte über die Demonstration sehen konnte, und sein Radio war vorgestern »zur Reparatur« abgeholt worden. »Soviel ich weiß, werden die Fenster geputzt, Genosse«, antwortete Gabowitsch. »Bis alle fertig sind, müssen die Rolläden geschlossen bleiben.«
»Ich wollte die Demonstration beobachten.«
Gabowitsch hatte Mühe, sich seine Überraschung nicht anmerken zu lassen. »Welche Demonstration meinen Sie, Iwan Sergejewitsch?«
»Ich habe gehört, daß heute mehrere hundert Demonstranten erwartet werden.«
»Davon weiß ich nichts, Genosse«, erklärte Gabowitsch ihm scheinbar aufrichtig, während er seinen Ärger über die Notwendigkeit neuer Ermittlungen undichter Stellen in Lugers Umgebung sorgfältig verbarg. Seine Mitarbeiter führten in Abständen von wenigen Wochen unangemeldete Inspektionen durch, aber trotz dieser Vorsichtsmaßnahmen neigte das Wachpersonal zu Nachlässigkeit. »Für eine Gruppe neuer Mitarbeiter findet heute die erste Führung durchs Institut statt – vielleicht meinen Sie die«, vermutete der General.
Luger schwieg leicht verwirrt. Er wollte Gabowitsch glauben, weil er ihn mochte und ihm vertraute, aber… irgendwie war er im Kopf nicht ganz klar.
Gabowitsch nutzte Lugers Zögern. »Ich habe Ihnen die ersten Ausdrucke der
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